Bernhard Philipp Berckemeyer (BP II) -Erinnerungen an meine Heimat Groß Thurow

Note: The following contains text only.  For images and footnotes associated with this story, refer to the English translation “Bernhard Philipp Berckemeyer – Memories of my Home Gross Thurow”.



Erinnerungen

an meine Heimat

Groß–Thurow

und seine Bewohner

seit  1798

– written by Bernhard Philipp Berckemeyer

January 1944

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Nach Erzählungen von meinem Vater hat mein Urgroßvater Bernhard Philipp Berckemeyer, geboren am 20. Mai 1764, damaliger Hamburger Kaufmann, am 22. Mai des Jahres 1797 den Kaufvertrag über Groß-Thurow, damaliges Lehngut im Kreise Herzogtum Lauenburg gelegen, mit dem Vorbesitzer, einem Amtmann Görlitz für 93 000 Taler abgeschlossen, nach Aufzeichnungen im Archiv soll es 1798 gewesen sein, ich glaube, daß das erste Datum stimmt, daß aber erst im Sommer ‘98 mein Urgroßvater mit seiner Familie von Hamburg übersiedelte.

Er hatte sich zwei Jahre zuvor mit Cäcilie Böhl, ebenfalls Tochter eines Hamburger Kaufherrn, verheiratet, die sehr hübsch und bei der Hochzeit erst 16 Jahre alt gewesen sein soll.

Mein Urgroßvater war der älteste Sohn meiner Ururgroßeltern Johann Heinrich Bernard Berckemeyer, geboren 1732 zu Lengerich und seiner Ehefrau Esther geborne Adriansen, die in jungen Jahren von Lengerich, dem Sitz der Berckemeyer’schen Familie in Westfalen, nach Bremen in ein Kaufhaus gekommen waren und dort weiter nach Hamburg.

Sie müssen es dort zu einem beträchtlichen Vermögen und ansehen gebracht haben, denn sie gehörten bald zu den ersten Familien Hamburgs, und konnten so die in Hamburg vorherrschende Mode und Vorliebe für England und alle englischen Sitten mitmachen.

So wurde mein Urgroßvater und sein jüngerer Bruder Johann Hinrich Berckemeyer schon als Jungen auf englische Schulen nach London geschickt und wurden dort bis zu ihrer Konfirmation erzogen.  Daraus erklärt sich auch die Vorliebe meines Urgroßvaters für England, daß er z.B. seine Hochzeitsreise nach England machte, um sich dort seine Aussteuer und Silber zu besorgen.

Alle alten, schönen, wertvollen Möbel, die heute noch im Thurower Hause stehen, stammen da her und sind an ihrer Gediegenheit gleich zu erkennen, die beiden großen Mahagoni-Schränke, Einrichtung von Saal und Diele, die Schlafstuben-Einrichtung mit den Mahagoni-Himmelbetten, das massive, schöne Silber für 60 Personen, silberne Leuchter, das Schreibpult und Herrenzimmer-Einrichtung meines Urgroßvaters.

Für diese ihre Hochzeitsreise soll mein Urgroßvater seine Schwester mitgenommen haben, da er fürchtete, seine sechszehnjährige Frau würde ihm seine Sachen und seine Koffer nicht in Ordnung halten können!

Mein Urgroßvater war wohl ein sehr rühriger, tüchtiger Kaufmann und es trieb ihn schon früh hinaus, so trat er mit 19 Jahren bereits von Hamburg seine erste Seereise an, natürlich immer mit Segelschiffen, nach Südamerika. Über alle seine Reisen habe ich noch selbst mit Federkiel geschriebene Reisebeschreibungen, die immer davon handeln, wie wichtig Beziehungen und Konnexionen sind, daß er bei den ersten Häusern drüben seine Besuche mit Empfehlungsschreiben machte und dann zum Souper eingeladen wurde.

Allerdings mußten sie oft wochenlang unterwegs wegen konträrem Wind liegen bleiben, oft schon gleich in Southampton 6 Wochen liegen, und während der langen Wartezeit hatte sich dann ein Teil der Passagiere schon verkrümelt.

Bei seiner ersten Reise hatte sein Vater ihn wegen seiner 19 Jahre zwei älteren Hamburger Herren anvertraut, die mit auf demselben Schiff fuhren.  Unterwegs hatte er sich schon diese Bevormundung ungern gefallen lassen und drüben hatte er sich gleich von ihnen getrennt mit dem Erflog, daß die beiden Herren an einen Platz gingen, wo das gelbe Fieber sehr herrschte und wo sie beide dieser Krankheit zum Opfer fielen, während er dadurch gerettet wurde.

Einmal ist er mehrere Jahre in Kalkutta gewesen.  Jedenfalls ist seine überseeische kaufmännische Tätigkeit mit solchem Erfolg gekrönt gewesen, daß er sich schon mit 34 Jahren außer der Hamburger Firma J. H. Berckemeyer, die nach seinem Bruder benannt war, und die ihnen zusammen gehörte und noch heute besteht, das Gut Groß-Thurow kaufen konnte, da wohl das alte landmanische Blut, das er sich vom alten Berckemeyer Hofe bei Lengerich in Westfalen mitgebracht hatte, diesen Wunsch zum Lande hin bei ihm durchgesetzt hatte.

So wurde Bernhard Philipp der Begründer der Lauenburgisch-Mecklenburgischen Berckemeyers und sein Bruder Johann Hinrich, der Urvater des Hamburger Zweiges der Berckemeyer.

Johann Hinrich soll zwei sehr hübsche Töchter gehabt haben, so daß dieselben zu ihrem Leidwesen bei einer festlichen Veranstaltung Hamburgs in einem Schaufenster ausgestellt wurden.  Diese Hamburger Berckemeyers kamen in den nächsten Jahrzehnten schnell zu großem Ansehen und Vermögen und gehörten zu den sogenannten “himmlischen Familien” Hamburgs, so daß  selbst mein Vetter, der Notar Gustav von Sydow als Enkel eines Berckemeyers aus dem Hause Thurow, trotz seiner drei Buchstaben und trotzdem er der Sohn eines höheren Offiziers war, nicht damit in Hamburg Schritt halten konnte, wie er mir zu seinem Leidwesen berichtete.

Da war der Sohn von Johann Hinrich, namens Gustav Wilhelm Beckemeyer, verheiratet mit Helene O’swald und seinen vier Töchtern, Frau Alice Gunkel, Frau Esther Hayn, Frau Helene Kirsten und Frau Olga von Schinkel.

Der alte Herr Max von Schinkel war ja auch durch seine Klugheit und hervorragenden Führereigenschaften, aber auch durch seine ganz besonderen Charaktereigenschaften Jahrzehnte hindurch die führende Persönlichkeit Hamburgs.  Auch meine Frau und ich durften noch die Herzensgüte und Freundlichkeit und den weiten Interessenkreis dieses seltenen Ehepaares von Schinkel auf ihrem entzückenden Besitz “Villa Erika” an der Elbe wiederholt kennenlernen.

Es lag in der Natur der Dinge, daß meine Eltern sich mehr auf die Landeinsamkeit und Arbeit in Thurow zurückzogen und mit den großen Vettern in Hamburg in den Jahren nicht Schritt halten konnten.  Heute hat sich in der Beziehung vieles in Hamburg geändert, Geld zerrann und schöne Wohnsitze wurden zerstört, aber die Güter blieben bestehen und sind mehr denn je der Halt einer größeren Familie, wenn sie es verstanden hat, zu allen Zeiten fest an der Scholle zu hängen.  Hierin haben zweimal in Zeiten härtester Krisen die derzeitigen Vertreter der Familie Berckemeyer glänzende Beispiele gegeben, wie ich später zeigen werde, und wofür ich und alle Nachkommen aus dem Hause Thurow diesen Vorfahren stets heißen Dank schuldig sind.

Doch nun will ich nach Thurow in das Haus meiner Urgroßeltern zurückkehren, die dort nun mit großer Freude auf ihrem schönen Besitz anfingen.  Im Jahre 1800 wurde mein Urgroßvater mit Thurow beliehen, und ich besitze noch diesen alten auf tadellosen Pergament mit Federkiel geschriebenen und mit kostbarem Siegel angehängten ersten Lehenbrief von Georg III, König von Großbritannien und Irland,  König von Hannover-Braunschweig-Lüneburg, und zu letzterem gehörte Lauenburg.  Ich besitze noch mehrere Lehenbriefe aus der dänischen Zeit Lauenburgs, die jedesmal neu ausgestellt wurden, entweder, wenn auf dem dänischen Königsthron ein Wechsel war, oder in Thurow in der Reihe meiner Vorfahren.  Der letzte Lehenbrief ist ausgestellt an meinen Großvater, den Landrat Berckemeyer, im Jahre 1867, als wir nach dem dänischen Kriege an Preußen gekommen waren, und ist mir besonders wertvoll, weil er von Kaiser Wilhelm I und Bismarck eigenhändig unterschrieben wurde.

Mein Urgroßvater versuchte sich als Landwirt zu betätigen und baute als erstes im Jahre 1801 eine neue Meierei im Thurower Dorf, die mit einem riesigen Milchkeller nach Norden, einem Butterkeller und einer großen Käsepresse ausgestattet war, alles Dinge, die das größte Entzücken unserer Kindheit waren, wenn wir in den Milchkeller, in den eine breite eichene Treppe – zum Tragen der riesigen Milcheimer, über einer dicken Stange von 2 kräftigen Milchmädchen heruntergetragen – führte, wenn wir in diesem Keller unsere Stimmen erschallen ließen, um das laute Echo hervorzurufen.  In allen Räumen herrschte eine blitzblanke Sauberkeit, so daß die rundliche Meierin uns dort nicht gerne litt, wenn wir ihr zuschauten, wie sie von den zahlreich aufgestellten z.T. übereinander aufgeschichteten geräumigen Milchsatten mit einem großen Schöpflöffel die gelbe Sahne abfüllte, oder wenn sie später die unendlichen Ballen gelber (Sahne) Butter mit ihren kräftigen Armen durchknetete.  Da für den Wohlgeschmack der Butter besonders maßgebend schönstes klares Wasser sein soll, so wurde dies täglich aus einem kleinen Schöpfbrunnen hinten im Park in der Wasserallee geschöpft und in Eimern mit einem Wagen zur Meierei gefahren, weil dies das beste Wasser von ganz Thurow sein sollte.  Ein hygienisch vielleicht etwas zweifelhaftes Unternehmen, aber gerade deshalb für uns Kinder von wundervollem Reiz,  zumal dies Geschäft meistens dem Ponykutscher oblag, mit dem man immer befreundet war.

Aber auch dies sind verklungene Akkorde, im Jahre 1902 wurde in dem benachbarten Roggendorf von meinem Vater und anderen Nachbarn eine Genossenschaftsmolkerei gegründet, der die Thurower Milchzugeführt wird.  Aus der geschilderten herrlichen Meierei in Dorf wurden vier Arbeiterwohnungen gebaut.  Wie mögen aber die Milchverhältnisse in Thurow vor 1801 gewesen sein, bevor mein Urgroßvater diese neue Meierei baute?

Nach alter Mode wuchs im Hause meiner Urgroßeltern jährlich die Kinderzahl, bis die stattliche Zahl von zehn erreicht wurde, von denen die ältesten zwei noch in Hamburg geboren waren.  Leider sind mehrere Jungen gerade klein gestorben und 1 Junge, Adolf, der Liebling meines Urgroßvaters, wurde mit 13 Jahren am 23.3.1813 an einem Sonntag Morgen, als seine Eltern zur Kirche gefahren waren, von einem Flügel der hinter unserem Garten stehenden Windmühle im Hinterkopf getroffen und tödlich erschlagen.  Er hatte sich mit anderen Dorfjungen versucht, immer durch die Flügel der sich hurtig drehenden Mühle zu laufen.  Dieser Schlag hat meinen Urgroßvater sehr hart getroffen, und als wenige Jahre darauf die Mühle vom Blitz getroffen abbrannte, wurde sie dort nicht wieder, sondern hinten an der Chaussee aufgebaut.

Es liegt ja aber in der Natur der Sache, daß mein Urgroßvater, der als Kaufmann so großes geleistet hatte, wohl doch immer mehr Kaufmann geblieben, als Landwirt geworden ist, und als in den bewegten Zeiten vor und um den Freiheitskrieg seine Hamburger Firma in Schwierigkeiten geraten war, hatte er, um dieser zu helfen, in Thurow größere Hypotheken eintragen lassen.  Das hat ihn für die letzen Jahre seines Lebens sehr beschäftigt und bedrückt, und er hat es nicht fertiggebracht, seine Frau darin einzuweihen.

Waren es diese Sorgen, war es der Schmerz um seinen lieben Jungen Adolf oder waren es die Folgen seiner vielen Überseereisen und das Leben in Tropengegenden, die seiner Gesundheit plötzlich vor der Zeit einen Stoss gaben.  Er fühlte sein Ende nahen und ist nach längerem Krankenlager am 1. April des Jahres 1816 mit 52 Jahren gestorben.  Er hat seiner Frau ein Testament und einen Abschiedsbrief geschrieben, in dem er sie zum ersten Male darüber aufklärt, daß er sie in schlechten Verhältnissen zurücklassen müsse, und ihr seine Wünsche über die Erziehung der Kinder ans Herz gelegt hat.  Dieser Brief ist auch in meinem Besitz.

Von den zwei noch lebenden Söhnen meinte er, könne nicht der Älteste, Eduard, Groß-Thurow bekommen, weil er körperlich sehr zart und etwas zurückgeblieben war, einen Buckel hatte, angeblich, weil ihn eine Amme früher habe fallen lassen.  Er schlägt vor, daß der zweite Sohn, Ernst Philipp Landwirt werden und Thurow bekommen müsse, während Eduard den Kaufmannsberuf ergreifen solle, und so ist es dann auch geworden.

Mein Urgroßvater ist als Patron der Mustiner Kirche noch im Kircheninnern unter unserem Stuhl beigesetzt, während meine Urgroßmutter, die ihn um 36 Jahre überlebte, sich später unseren schönen Begräbnisplatz kaufte, auf den sie sich dann als Erste legte.

Gerade aus diesem Umstande heraus, daß der älteste Sohn Eduard auf Thurow verzichtete und nach Valparaiso als Kaufmann ging, und sein Jüngerer Bruder Ernst, mein Großvater, Besitzer von Thurow wurde, erklärt sich ein sehr nahes Verhältnis der beiden Brüder und ein inniger Briefwechsel.  Eduard, der seine Heimat und besonderes seine Mutter sehr liebte, hat es wohl niemals ganz verwinden können, daß er Thurow verlassen und in die Ferne ziehen mußte.  Ich Besitze ein ganzes Buch, voll der zärtlichsten Briefe, die er seiner Mutter geschrieben hatte und in denen er bis ins kleinste die Geschicke Thurows verfolgt, und immer wieder sich auf ein Wiedersehen freut.  Einige Male ist er auch hiergewesen.  Es ging ihm geschäftlich gut drüben und er hatte sich einen kleinen Landsitz gekauft, mit Pferden, Hunden und Dienerschaft.  Eine schwere Enttäuschung hat er noch durchmachen müssen, indem er für einen Freund gutgesagt hatte, der ihn dann hinterging und ihn um sein ganzes, mühsam erworbenes Vermögen gebracht hat.  Das hat ihn ganz zerbrochen.

Nun brach eine schwere Zeit für meine Urgroßmutter herein.  Aus verwöhnten Hamburger Verhältnissen stammend, mußte sie sich immer mehr den Anforderungen einer sparsamen Landfrau anpassen, sie mußte selbst die schwierigen geschäftlichen Verhältnisse regeln und mußte sechs heranwachsende Kinder erziehen.  Dazu hatte das Gut unter den Kriegen gelitten, Franzosen und Kosaken hatten geplündert und alles ausgeraubt.  Dazu die weiten Entfernungen und Reiseschwierigkeiten der damaligen Zeit, der nächste Bahnhof war in Schwarzenbeck, ungefähr 50 km entfernt, so daß sie selbst, wenn sie ihre Eltern besuchen wollte, in Winter auf einem Kornwagen von Thurow bis nach Schwarzenbeck gefahren ist.  Da kann man sich nicht wundern, wenn Ihre Eltern Böhl, die noch ein schönes Haus in Hamburg hatten, ihr rieten, Thurow zu verkaufen und mit ihren Kindern zu ihnen zu kommen, allein der Schulen wegen.  Aber ihre Liebe zu Thurow war so groß und die Verpflichtung, die Scholle für ihren Sohn zu halten und sie ihm einst zu übergeben, vorherrschend bei ihr, daß alle solche Vorstellungen keinen Erfolg hatten.  Sie nahm (setzte) Inspektor und Erzieherin ins Haus und setzte ihre große Energie ein für die Wirtschaft.  Vormundschaft und Oberaufsicht hatte ihr Bruder, ein Herr von Böhl in Cramon bei Schwerin, der sich dies Gut auf Anraten meines Urgroßvaters gekauft hatte und als Meckl. Ritter später geadelt wurde.  Es ist mir noch von meinem Vater berichtet, daß große Umstände in Thurow vorbereitet seien, wenn dieser Bruder mit einem Viererzug zur Besichtigung angekommen sei.  Tante Agnes schrieb in ihren Aufzeichnungen “wie arm es in der Zeit ihrer Großmutter gegangen sei, beweist folgende Episode:  Der ältesten Tochter Charlotte wurde von einem Inspektor der Hof gemacht, den sie aber schon abgewiesen hatte.  Er gab aber seine Hoffnungen nicht auf und schenkte ihr zu Weihnachten ein schönes neues Kleid, was sie ebenfalls ablehnte, aber ihre Mutter drang darauf, daß sie es annehme und trage, da das alte so schlecht sei und einen großen Fettfleck habe, und die Mutter ihr keins kaufen könne”.

Da von einem Dr. Weber auf dem Nachbargute Goldensee ein Pensionat und Schule für Ausländer eingerichtet war, mußten die Thurower Kinder mit Eselwagen oder zu Pferde hinüber und die Schule besuchen.  Dadurch soll manch fröhliche Jugend nach Thurow gekommen sein.  Meine Urgroßmutter hatte überhaupt trotz ihrer vielen Arbeit gern Geselligkeit und frohe Menschen um sich.  Wenn man in dem ältesten Thurower Fremdenbuch aus jener Zeit blättert, wundert man sich, wie unendlich viele Menschen dort ein – und ausgegangen sind, natürlich auch von der Hamburger Verwandtschaft.  Ihr Schwager Johann Hinrich kam und war der große Schreck der Kinder und Enkelkinder, weil er einen guten und einen bösen Tag hatte und man ihm dann weit aus dem Wege ging.  Ein anderer Freund des Hauses, der viel in Thurow war, trug drei Perücken, 1 kurze, 1 halblange und 1 lange, und wenn er dann zum Haarschneider in der Stadt gefahren war, kam er mit der kurzen wieder, und war Kinderspott.

Johann Hinrich überwachte das Kaffeebrennen in der Küche, damit die Bohnen nicht für seinen Geschmack zu stark gebrannt würden, er brachte sich einen Diener mit, und unendliches Angelgerät, um auf dem See zu fischen.  Solch Besuch war sicher für meine Urgroßmutter mühsam.  Zu bewundern ist es, wie die vielen Menschen in dem alten Thurow Hause unterkamen, das keine obere Etage, sondern nur 1 Frontspieß nach vorne hatte, und überhaupt kein Eßzimmer, an der Seeseite waren unten drei kleine Zimmer wie oben, und das mittlere kleine Seezimmer war das Eßzimmer meiner Urgroßmutter.

Urgroßmutter verheiratete ihre vier Töchter

  1. an einen Landwirt Stauber
  2. Kaufmann Jenkel-Hamburg, Großeltern von G. von Sydow
  3. an Herrn Krüger auf Gr. Weltzin, dem spätern Stammgut der Familie Bock
  4. an Herrn Hoffschläger auf Weisin, wohin ein gütiges Geschick uns später gebracht hat

Allmählich kamen bessere Zeiten für die Landwirtschaft und auch für Thurow, und als mein Großvater im Jahre 1837 heiraten wollte, und zwar Frl. Eleonore Mahnecke (?Manecke) aus Ratzeburg, aus dem großen schönen Hause auf dem Domhof, das heute noch genauso dasteht, da ging meine Urgroßmutter daran, die obere Etage des Thurower Hauses auszubauen und dem ganzen Hause diesen wunderhübschen schlichten Stil zu geben, der es von Außen in seiner einfachen Vornehmheit auszeichnet, und im Innern doch so viele schöne und praktische Räume bietet.  Für sich selbst baute sie noch ein kleine Küche auf der Ostseite daran, denn sie wollte ihr geliebtes Thurow nicht verlassen, sondern bezog nun auf dem Ostgiebel eine Altenteilswohnung und über dreiviertel des anderen Hauses dem jungen Ehepaar.  Nach ihrem Beispiel ist das Thurower Haus durch drei Generationen so von Alt und Jung bewohnt gewesen.  Das hat natürlich seine Vorteile und seine Nachteile, aber diese letzteren wurden von den Bewohnern in Kauf genommen, aus dem Wunsche heraus, auf der alten Scholle zu bleiben und zu sterben.

Meine Urgroßmutter hat dann auch das niedliche kleine Türmchen mit der Hofuhr auf ein altes Gebäude gesetzt, eine Zierde für den ganzen Hof und mit seinem hellen Glockenschlag erfüllte es Hof, Dorf und das ganze Feld.  Und wie viele Jahre, und schicksalsschwere Jahre hat diese alte Turmuhr nun schon weit über 100 Jahre lang seit jenen Tagen den Bewohnern Thurows in der Sylvesternacht heraufgerufen.  Atemlos lauschten wir Kinder ihrem langsamen Schlagen in der stillen feierlichen Nacht, bis der zwölfte Schlag verklungen war und durch unser fröhliches “Prosit Neujahr” abgelöst wurde.  Und noch vieles Andere hat in diesen Jahren meine Urgroßmutter, diese hervorragende Frau, in Thurow geschaffen und verbessert, was von ihrem praktischen Sinn, und ihrer Liebe zu Thurow spricht.  Deshalb hat sie es schon verdient, daß ihr Bild zweimal im Thurower Saal hängt, einmal als hübsche glückliche junge Frau an der Seite meines Urgroßvaters und einmal als alte Großmutter, wo das Leben seine Runen in ihr Antlitz gezogen hatte, aber ihr kluges, lebhaftes Auge ist geblieben.  Nachdem sie noch 1848 ihr 50 jähriges Jubiläum in Thurow begangen hatte, ist ihr langes schönes Leben am 21.11.1852 erloschen.

Mein Großvater Ernst Philipp Berckemeyer geb. 10. Aug. 1808 in Thurow und gestorben 29. Juni 1879 in Thurow war bestimmt ein tüchtiger Landwirt, denn unter ihm hat Thurow eine Blütezeit erlebt, aber er war auch ein Mensch von lauteren vornehmen Charaktereigenschaften, die ihm weit und breit reiches Ansehen und ein Andenken bis in die heutigen Tage gesichert haben.  Deshalb wurde er auch zum Landrat ernannt, in der Zeit, als wir zu Dänemark gehörten.  Er mußte in dieser Eigenschaft in jedem Sommer acht Wochen zur Reichstagssitzung nach Kopenhagen und hatte auch den dänischen Dannebrock-Orden erhalten.  Er war ein sehr großer, stattlicher Mensch, eine imposante Erscheinung mit seinem grauen Zylinder, den er sehr viel trug.  Der Höhepunkt seines Lebens war, als nach dem Siege über Dänemark Lauenburg an Preußen kam, und in dem Jahre 1867 König Wilhelm I und Bismarck nach Ratzeburg kamen, um sich huldigen zu lassen, wie man ja damals sagte.

Da durfte mein Großvater mit seinem schmucken Viererzug den König vom Bahnhof holen und durch die Stadt fahren.  Nachmittags war eine kleine Dampfbootfahrt auf dem Ratzeburger See arrangiert und abends ein Festbankett, auf dem mein Großvater als Landrat das Königshoch ausbringen durfte.  Das hat ihm eine große und stolze Freude bereitet.  Von noch einer kleinen Episode auf diesem Fest, ist lange Jahre im Thurower Hause berichtet.  Des Königs Auge fiel auf eine junge schöne Frau in auffallender Toilette, er ließ sie kommen und sich vorstellen, und fragte woher sie komme und die schöne Robe habe, worauf sie sagte, sie seien das Ehepaar von Walcke auf Goldensee und kämen gerade von ihrer Hochzeitreise aus Paris.  Weil sie dem König einen so tiefen Hofknicks machte und ihm die Hand küßte, so küßte er sie auf den Mund und tanzte mit ihr.  Das war der Triumph der schönen Fee vom Goldensee.

In meinem großelterlichen Hause wurden sechs Kinder geboren, allein fünf Töchter und nur ein Sohn Bernhard, mein Vater.  Aber das Leben meines Großvaters war überschattet von der Gemütserkrankung  seiner Frau.  Mein Großvater hat es mit rührender Geduld ertragen, bis es sich herausstellte, das sie nicht mehr in Thurow bleiben konnte.  Eines schönen Sonntagsmorgen schickte er seine Kinder mit dem Eselwagen auf eine weite Tour an den Schalsee, und als sie nachmittags zurückkehrten, ging er ihnen in der Wasserallee entgegen, hieß sie alle aussteigen und sich zu ihm ins Gras setzen und dann sagte er Ihnen, daß ihre liebe Mutter ganz weit fortgereist sei und niemals wiederkommen würde und dann habe er bitterlich geweint, so hat mir Tante Agnes berichtet, die damals noch ganz klein war.

Von den Töchtern starb Bertha mit 9 Jahren und Mathilde mit 30 Jahren an Auszehrung, während die älteste Cecilie den späteren Konsistorialrat Walter heiratete, sie fingen zunächst auf der Pfarre in Roggendorf an, Die zweite Ida heiratete den Bruder Woldemar Walter, Postdirektor in Doberan, während die jüngste, unsere sehr beliebte Tante Agnes, ledig blieb und sich ganz dem Leben und später der Pflege ihres Vaters widmete, an dem sie mit rührender Liebe hing und er an ihr.  Sie interessierte sich sehr für seine Felder und seine Landwirtschaft und führte ihm den Haushalt, sie fuhr mit ihm in die Umgegend und jeden Sonntag in die Kirche.

Mein Großvater war einmal auf einer Kopenhagener Reise an Gelenkrheumatismus erkrankt, wonach sich eine Lähmung in seinen Beinen einstellte, die von Jahr zu Jahr zunahm, und die die letzten Jahre seines Lebens auch den Oberkörper und die Arme angriff, so daß Tante Agnes seine Briefe für ihn schreiben und ihm vorlesen mußte, zuletzt ihm auch beim Essen helfen mußte.  Sein langjähriger treuer Diener Wilhelm fuhr ihn im Rollstuhl viel umher, denn er nahm noch sehr lebhaft an allem Teil und die allerletzten Jahre mußte man einen zweiten Diener zu Hilfe nehmen, da der große schwere Körper meines Großvaters von einem Menschen nicht mehr zu hantieren war.  Eine kurze Lungenentzündung bereitete dann dem segensreichen Leben und Wirken dieses edlen Menschen ein schnelles Ende, am 29. Juni 1879.  Tante Agnes schrieb von ihm:  Er war ein echter deutscher Mann, ritterlichen Sinnes und vornehmen Charakters.

Wenige Monate nach seinem Tode, am 3. Nov. 1879 bin ich in Groß-Thurow geboren, und wenn meine Mutter, die sehr viel um meinen Großvater war, weil er sie sehr gern hatte und immer sagte, es wäre die richtige Frau für meinen Vater, später oft von mir als kleinem Jungen, und auch andere Verwandte sagten, ich sehe dem Großvater sehr ähnlich, dann habe ich es immer gern gehört, und habe mir im Stillen gewünscht, daß es einmal wahr werden möchte.

Tante Agnes war nach dem Tode ihres Vaters, dem ihr ganzes Leben, ihre Liebe und Arbeit gegolten hatte, recht vereinsamt und suchte sich andere Lebenszwecke in der Pflege von einsamen, ihr nahestehenden Menschen.  Mein Großvater hatte ihre Treue gegen ihn und ihre Liebe zu Thurow belohnt, indem er ihr ein lebenslängliches Wohnrecht in Thurow mit sieben Zimmern und Küche auf der Ostseite unseres Hauses und 60 000   RM Vermögen bestimmt hatte.

Ich muß nun nachholen, daß meine Eltern bereits am 24. Mai 1870 geheiratet hatten und das Haupthaus mit der Seeseite bezogen hatten.  Mein Vater hatte Thurow von meinem Großvater für 18 000  RM jährliche Pacht gepachtet und 1879 nach dem Tode des letzteren wurde er Besitzer.  Meine Eltern haben oft gesagt, daß diese neun Jahre Pachtzeit für sie die günstigsten gewesen waren, was sich mit meiner Ansicht deckt, daß ein Pächter besser zu Wege ist, als ein Besitzer.  Es mag aber auch etwas seinen Grund darin finden, daß die ersten Jahre nach einem siegreichen Kriege immer landwirtschaftlich günstig sind.  Leider wurde dies in den achtziger und neunziger Jahren wesentlich schlechter.

Meine Mutter war Bertha Dreyer, zweite Tochter des Schiffbauers und Reeders Ernst Dreyer zu Övelgönne bei Altona.  Mein Großvater Dreyer hatte mit seiner ältesten Tochter Margarete auf einer Reise in Marienbad das Ehepaar von Walcke kennengelernt und war im nächsten Sommer in Goldensee eingeladen.  Da Margarete behindert, hatte man gefragt, ob man die zweite Tochter Bertha als Ersatz mitbringen könne.  In Goldensee war Taufe des zweiten Sohnes Wilhelm und meine Mutter war Patin, dazu waren natürlich die Nachbarn aus Thurow geladen.  Meine Mutter war schwer begeistert von dem schönen Wohnsitz und dem herrlichen Landleben, das sie zum ersten Male kennenlernte, und man blieb länger dort.  Da traf man sich von ungefähr auf halben Wege beim Fischerhaus, Mutter, um sich den neugeborenen Jungen des Fischers Albrecht zu besehen und Vater, um das Wohlergehen der Fohlen auf der Koppel zu begutachten.  Und so wurde dies Begegnen zweier Menschen für meine Heimat Thurow bedeutungsvoll, und zwar für die nächsten fünfzig Jahre, denn die Eltern durften noch 1920 ihre goldene Hochzeit (feiern) in Thurow erleben.  So wurde dann am 24. Mai 1870 die Hochzeit meiner Eltern groß in Övelgönne an der Elbe gefeiert, verbunden mit dem Stapellauf des hundertsten Segelschiffes meines Großvaters auf seiner Werft am Rinherstieg.  Beflaggte und bekränzte Schiffe lagen am Elbufer und viel Ehre und Ansehen wurde meinem Großvater Dreyer von Hamburg zuteil und auch seinem neunzigjährigen Vater, Kommerzienrat J. C. Dreyer, der sogar auch noch nach Thurow kam.

Ein schönes glückliches Leben begann für meine Eltern auf dem schönen Arbeitsfeld der heimatlichen Scholle und wenn auch ihre erste Freude über ein im März ’71 geborenes Knäblein getrübt wurde, indem Gott es in einigen Tagen wieder zu sich nahm, so wurden ihnen doch nacheinander sechs Kinder, drei Söhne und drei Tochter, immer Pärchenweise geboren, Ernst 1872, Esther 1873, Paul 1875, Helene 1877, Bernhard 1879, Erna 1884.  Für eine herrliche, fröhliche Kindheit mit allen Freuden zu Wassern zu Lande und zu Pferde haben wir unseren Eltern zu danken, wie sie eben nur Landkinder genießen können.  Und so wird uns allen immer die Heimat mit ihrer Anmut und Schönheit und mit ihrer fruchtbaren dunklen Scholle vor Augen stehen bis ans Ende unserer Tage.  Ein Kleinod, das wirklich wert ist, ein Leben voll Arbeit, Mühen und Sorgen dafür einzusetzen, und das um so wertvoller wird, je mühsamer man es erkauft und erworben hat.

Wie die auf dem Lande mühsam mit Schulfragen und Erziehungsfragen ist, so haben sich die Eltern ehrlich versucht mit Hauslehrern für die großen Brüder, bis die dann beide nach Lübeck in Pension kamen und Paul später von dort aufs Kadettenkorps.  Die Eltern hatten bei der immer schlechter werdenden landwirtschaftlichen Lage richtig disponiert, daß der älteste die Heimat einst übernehmen, der zweite Offizier werden und ich, als Nr. 3 einmal studieren sollte, aber es kam natürlich alles anders.

Es liegt wohl in der Natur der Dinge, daß unser Vater sein Tun draußen hatte, oder beim Zeitung lesen nicht gestört sein wollte, für unseren Kleinkram des täglichen Lebens nicht so in Betracht kam, sondern von uns als letzte Instanz betrachtet, erst angegangen wurde, wenn es sich um ein großes Anliegen handelte, während die Mutter von früh bis spät für ihre Kleinen da ist, und alle kleinen Freunden und Anliegen zuerst erzählt bekam, oder vielmehr miterlebt.  So war unsere Mutter doch stets Mittelpunkt, der wir alles anvertrauen mußten und die uns so richtig auf Händen und auf ihrem Herzen trug.  In rührender aufopfernder Weise hat sie unsere Jugend bewacht und betreut, immer darauf bedacht, uns Freude zu machen und uns umsorgt bei Krankheiten, oder wenn etwas mal daneben gehen wollte.  Wie unendlich viele und liebevolle Briefe erhielt ich in der Pension von meiner Mutter, und kleine Beilagen in den Wäschepaketen, besonders in den ersten Schultagen nach den Ferien, wenn es einem so blutsauer wurde.  Und jedes Jahr scheute sie nicht die umständliche Bahnreise nach Plön und kam zum 3. Nov. trotz kalten schlechten Herbstwetters und rauhen Winden, bei unwirtlichen Jahrmarktsfreuden, denn es fuhren immer die Karussells zu meinem Geburtstag.  Einmal fand sie mich am 3. stark vergrippt und nahm mich zum Ärger des Pensionsvaters mit nach Thurow, wo ich am nächsten Tag mit 40o Fieber und Lungenentzündung lag.  Das waren dann herrliche Wochen, wo Mutter mich ganz allein pflegte und natürlich verzog, in dem kleinen Eckzimmer nach vorne heraus, immer an meinem Bett sitzend mit Weihnachtsarbeiten oder vorlesend. Ich war ja nun mal ihr Jüngster und ihr Sonnenschein, wie sie einmal geäußert, und worum ich dann gründlich von den großen gezerrt wurde.  Die ersten Schneeglöckchen und Veilchen suchte ich bei der Kaffeehütte und stellte sie still auf ihren Schreibtisch.  Einmal erinnere ich Schläge von meiner Mutter bekommen zu haben, wegen einer Unwahrheit.  Im Dutzower Försterhaus waren kleine allerliebste Zicklein angekommen, doch sollte ich aus irgend einem Grunde keine mehr haben.  Ich holte mir aber doch heimlich eine und begegnete damit unglücklicherweise einer Tante, die gleich fragte, du hast doch keine Erlaubnis, ich sagte aber schnell, ja, ich habe um Erlaubnis gefragt.

Viel Freude hatten wir an zwei kleinen Ponys Hans und Grete, die wir täglich ritten und fuhren, und weil ich mit Leny im Alter am nächsten stand, fraßen wir eigentlich alles zusammen aus.  Weil unsere Ponys so gut liefen, beschloß man, sich auf dem Wettrennen in Ratzeburg und Brandenbaum bei Lübeck zu versuchen.  Zum großen Leidwesen durfte Leny als Mädchen nicht mitreiten, auch in Hosen von mir war es nicht schicklich, so ließ man Vetter Gustav Berckemeyer dazu von Lübeck kommen, denn die unzertrennlichen Ponys liefen immer nur zusammen.  Ich ritt natürlich Hans, den besseren und schnelleren und gewann auf beiden Plätzen den ersten Preis mit 10 Jahren, bekam in Lübeck einen fabelhaften Pokal in blauem Atlas.  Auch kamen Leny und ich bei unseren Streichen sehr oft auf dem Hof mit dem Inspektor in Konflikt, wenn ich als der behendere durch das Katzenloch an der Kornbodentür klettern und auf dem Boden aus einer großen Kiste Stränge und herrlichen Bindfaden holen mußte.  Leny mußte inzwischen Posten stehen.

Weil der Inspektor Hillmann, der uns sonst schon mit Schokolade erfreut hatte, uns verpetzt hatte, wollten wir ihn ärgern.  Wir sahen in seinen zwei Stuben, Hochparterre unten am Pferdestall, die Fenster offen stehen, während er zu Felde verschwunden war.  Ich ging durchs Fenster hinein, verübte allerhand Budenzauber und schloß ihm die Tür von innen zu.  Aus einem Versteck auf dem Hof wollten wir nun abends beachten, wie er denselben Weg durchs Fenster nehmen würde, um in sein Zimmer zu  gelangen.  Das tat er aber nicht, sondern ging zu Vater und verpetzte und abermals, ich wurde energisch gerufen, besah zwei schallende Backpfeifen und mußte noch einmal unter Gelächter alle Leute und des Inspektors selber durchs Fenster und alles wieder in Ordnung bringen.  Seitdem war meine Freundschaft mit Hillmann vorbei, ich nahm seine Schokolade nicht mehr.

Ein Hauslehrer Drews, der Leny und mich zu verarzten hatte, zeitigte auch kein langes Leben in Thurow.  Groß waren jedes Jahr die Manöverfreuden, wir hatten schulfrei, das ganze Haus und Hof voll Einquartierung, und wir ritten jeden Morgen mit ins Gelände.  Drews wollte auch mitreiten und uns begleiten.  Man setzte ihn auf einen Schwarzen und sah er stattlich aus, aber auf dem höchsten Punkt der Lüneburger Berge bäumte sein Schwarzer und setzte ihn ab, zum Gaudium des ganzen Manövergeländes, und er mußte zu Fuß nach Hause gehen und alles fragte die Tage nach unserem berittenen Schulmeister.  Schlimmer war, daß er dem Alkohol ergeben war, des nachts auf der Horst saß, und am anderen Morgen verschiedentlich von mir zum Unterricht geweckt werden mußte.  Da verstand Mutter keinen Spaß, die ohnehin den Krug auf der Horst nicht liebte.  Aus der Auseinandersetzung erinnere ich nur die Worte  “Mit Ihrem Herrn Gemahl könnte ich hundert Jahre Leben, aber mit Ihnen, gnädige Frau, ist es mir eben nicht gegeben”.  Gedenken aber möchte ich hierbei einer sehr treuen und lieben langjährigen Erzieherin, Adele von Nußbaum, die fünf Jahre in unserem Hause war, und ich ihr ABC-Schütze.  Sie lebt noch als achtundsiebzigjährige in Rostock, und wenn es irgend möglich, soll sie Thurow noch einmal wiedersehen.  Sie war unser aller beste Freundin, weil sie selbst vom Lande stammte und alle Landfreuden, wie Leiterwagenfahren, mit genoß.

In diese Sorglosen Jahre einer herrlichen Jungend leuchten aber am meisten hinein die Weihnachtsfeste mit ihren langen geheimnisvollen Vorbereitungen und allem Drum und Dran, und da muß ich wieder meiner lieben Mutter gedenken, die ein seltenes Geschick hatte, uns alles so feierlich und hübsch zu gestalten, und unter deren fleißigen, geschickten Fingern eben alles so hübsch gedieh, die aus allem noch wieder etwas machen konnte.  Da war zuerst die Kinderbescherung von 48 – 60 Kindern auf der Diele am 23. mit größtenteils selbst hergestellten Dingen, von Mutter und den Schwestern gefertigt in wochenlanger Arbeit.  Da wurden Puppen angezogen, da wurden Schürzen und Hemden genäht, Schals gestrickt und Pantoffeln genäht etc., aber alle hatten viele Freude an der erfinderischen Geschicklichkeit.  Einer von uns mußte bei der Leutebescherung das Weihnachtsevangelium aufsagen und der Höhepunkt war Vaters Rede, der die Frauen zur fleißigen Erntearbeit, die Männer zur politischen Ertüchtigung ermahnte und die Jungs vor dummen Streichen auf dem Hof und Apfel-Klauen warnte, und nachher hieß es allgemein “nein, wo schön hät de Herr hüt wedder rad”.  Am Heiligabend hatten wir zuerst die Bescherung der Eltern im Kaminzimmer mit einem Baum auf dem Tisch.  Wir standen dann wie die Orgelpfeifen und sagten zuerst unsere Gesänge auf und zeigten unsere Gaben, geschnitzte und gebrannte Sachen und kostbare Handarbeiten der Schwestern.

Inzwischen hatte der Gärtner den großen Baum im Saal angezündet und auf Mutters Klingelzeichen öffneten sich die Flügeltüren, der Höhepunkt des Abends.  Alles war immer an seinem traditionellen Platz, die Krippe in dem erleuchteten Transparent, eine Tannenlaube für Puppen und eines jeden Tisch, der trotz der immer schwieriger werdenden Zeiten doch von Mutters Güte reich gedeckt war, alles war für einen jeden mit soviel Liebe erdacht.  Dann wurden wir leider bald von unseren Tischen weggerufen, um in der Eß-Stube den langen Tisch mit der Bescherung für das Personal zu erleben, weil der ja nachher zum Karpfen gedeckt werden mußte.  Obenan stand Jahrzehnte hindurch unsere treue Meierin und später Mamsell “zur Nedden”, mit ihrem glatt gescheitelten Haar und ihren frischen roten Backen, wirklich eine treue Seele für unsere ganze Familie.  Ich weiß noch, mit welcher Wichtigkeit man ihr nach zehnjähriger Dienstzeit eine Nähmaschine mit Handbetrieb schenkte.  Dann wurde am Abend das Kirchenfahren für den ersten Weihnachtstag besprochen, ob mit zwei Wagen, und wer Erlaubnis erhielt, bei seinem neuen Buch zu Hause zu bleiben, order die neuen Schlittschuhe zu versuchen.  Einige lebhafte Momente gab es natürlich auch, wenn der ganze große Baum ins Wanken geriet, weil voreilige Hände zu sehr nach den Marmeladenwürsten griffen, die als Kostbarstes ganz oben gehängt waren und ein Streit einsetzte, wer natürlich schon zuviel davon verschwinden ließ.

Während dies Kindheits-Erinnern so deutlich vor mir steht, denke ich “Oh, du fröhliche selige Weihnachtszeit”, die ihren gleichen Zauber auf alle Kinderherzen immer noch genauso ausübt.  Ich denke zurück an 32 Weisiner Jahre, wo wir mit unseren sechs genau dei gleichen unvergeßlich schönen Weihnachten feierten, wo auch die Mutter mit ihrem Vorbereiten und ihrem Freuen im Mittelpunkt stand und nun erleben wir dieselben Weihnachtsfreuden und Jubel mit der großen Enkelschar Weihnachten 1942 in Leezen und Weihnachten 1943 wieder im alten Thurow mit Giselas prächtigen Jungens.  Und was liegt alles dazwischen!  Wieviel Auf und Nieder im menschlichen Leben.  Und doch kommt Weihnachten immer wieder mit seinem Zauber und mit seinem Freuen, und wie froh ist man geblieben, wenn es noch immer eine große Weihnachtsstube gibt voll jubelnder Kinder, und wenn Großeltern, Eltern und Enkelkinder sich miteinander freuen dürfen an diesem alten Fest.  Und das alte Thurower Haus soll sie immer wieder aufnehmen, alle die da kommen, und die zum ersten Male Weihnachten erleben in seinen lieben alten trauten Räumen.

Wie es war durch die geschilderten Generationen, so soll es bleiben für alle Zeiten, das ist mein größter Wunsch, wie Gott es will!

Ich hatte früher gesagt, daß die Eltern nach einem glücklichen Anfang in Thurow, schwierige Zeiten in den achtziger und neunziger Jahren zu bestehen hatten, und von denen muß ich noch einiges erzählen.  Die sogenannte Caprivi-Zeit lastete schwer auf der gesamten deutschen Landwirtschaft.  Der Bund der Landwirte wurde gegründet, in dem mein Schwiegervater Bock-Gr. Brütz mit Anteil hatte, Zuckerfabriken wurden gegründet, der Rübenbau und Kartoffelbau sollte bessere Erträge bringen und half auch in vielen Gegenden, für Thurow nützte das nichts, die schlechte Verkehrslage gestattete keinen Rübenbau und der schwere Boden keinen Kartoffelbau. Wer aber nur Körnerbau angewiesen war bei einem Roggenpreis von 5._ _ RM, der mußte verhungern.  Mein Großvater Berckemeyer hatte wohl geglaubt, daß mein Vater eine vermögende Frau geheiratet hätte wie dies beim Großvater Dreyer mit seiner schönen Werft auch bestimmt der Fall war.  Aber das moderne Dampfschiff hatte mit einem Schlage das hölzerne alte Segelschiff abgelöst, es wurden keine Segelschiffe mehr gebaut, die Werft war alt und unmodern, es war aus.

So hatte Großvater Berckemeyer die Erbteile, die mein Vater seinen drei Schwestern auszuzahlen hatte, ziemlich hoch nach damaligem Gelde mit je 60 000 RM festgesetzt.  Mein Vater wollte sich nach Großvaters Tode gleich mit seinen Schwägern auseinandersetzen, nahm Hypotheken in Thurow auf und zahlte die Erbteile aus.  So stieg die Zinsenlast gewaltig, gerade in der Zeit der schlechten Getreidepreise.  Zur selben Zeit erforderte aber Erziehung und Ausbildung der sechs Kinder erhebliche Aufwendungen, die die Eltern gern aufbringen wollten, aber nicht wußten, woher sie nehmen.  Das hat die armen Eltern Jahrzehnte lang mit schwerer Sorge erfüllt, sie wollten ihren Kindern das Beste mitgeben auf dem richtigen Weg und wollten die alte Heimat erhalten und wußten sich keinen Rat.  Dabei wurde Thurow immer mehr belastet, so daß im Jahre 1895 im Herbst Vater sich gezwungen sah, Verkaufsverhandlungen anzubahnen, nachdem wir noch am 24. Mai 1895 das schöne Fest der Silbernen Hochzeit meiner Eltern gefeiert hatten.  Das lag unendlich schwer auf meinen Eltern und uns Kindern allen, denn der Gedanke war für uns völlig unmöglich, daß unser liebes Thurow für uns aufhören sollte.  Ein Herrn von Schnitzler kam es zu besehen und ein Herrn von Randow kam und war sehr ernstlicher Reflektant.  Ich weiß noch, wie versteinert ich war über Vaters Brief, den ich nach Plön in die Pension bekam, daß Vater sich gezwungen gesehen habe, Thurow nun an diesen Herrn von Randow zu verkaufen.  Aber nur wenige Tage lebten wir unter diesem Bann, dann kam wieder ein Brief von Vater, daß beim Abschluß des Vertrages sich Unregelmäßigkeiten des Maklers herausgestellt hätten, die den Verkauf wieder zerschlagen hätten.

Man wollte es nun nochmals versuchen, es zu halten, und mein Bruder Ernst, der damals als tüchtiger junger Landwirt bei einem Herrn Hampe-Badresch in Stellung war, sollte nach Hause kommen, um die Zügel in die Hand zu nehmen.  Mein guter Vater kannte nur die alte Wirtschaftweise, die nicht mehr ging, er konnte sich nicht umstellen, und kam auch nicht mit anderen Landwirten zusammen, er zog sich gern zurück.

Am 1. April 1897 kam Ernst, damals 25 Jahre alt, nach Thurow und eine neue Wirtschaftweise begann, d.h. hauptsächlich mit dem eisernen Muß, zu sparen und nochmals zu sparen.  Personal wurde abgeschafft, Kutschpferde verringert, Mutter mußte ihre langjährig tüchtige Mamsell gehen lassen, da sie zuviel Gehalt bekam und Leny übernahm den Haushalt mit einem jungen Mädchen.  Ich reiste mit einen Brief in die Pension zurück, daß ich statt 800 RM nur noch 600 RM Jahrespension bezahlen könne, ob man mich dafür behalten wolle.  Esther trat als Johanniterschwester ein, während Mutter sich mit Leny und Ernst zusammentat, um die sparsamste Wirtschaftsweise durchzuführen.  Leny half auch Ernst bei schriftlichen Arbeiten.  Für Meine Mutter war es entschieden am schwersten, weil sie nicht mehr jung war, und schließlich aus einem verwöhnten Hause Hamburgs stammte, und von einem Landhaushalt nicht mehr kannte, als wie sie sich selbst in Thurow angeeignet hatte, aber sie verstand sich prachtvoll mit Leny und so arbeiteten alle drei treulich Hand in Hand.  Wir hatten ja damals noch eine eigene Meirerei und machten vorzügliche frische Landbutter, die Mutter im Kleinversand, 9 Pfd Pakete, an Hamburger Damen verschickte, die sie noch kannte und sich aufsprach, weil sie so viel bessere Preise nehmen konnte.  Das frische Verpacken besonders im Sommer, die Korrespondenz, die Rechnungen schreiben und einkassieren, machte alles Mutter.  Dann wurde schließlich an dieselben Kunden auch unser ganzes Obst und Geflügel verkauft,  Eingemachtes und Marmelade, etc. Frische Wurst und Schinken.  Man nahm auch Sommergäste, meistens Hamburger, an die zwanzig Stück ins Haus, wo früher eine lange Tafel mit Besuch stand, saßen jetzt statt dessen zahlende Pensionsgäste.

Aus diesen Einnahmen konnte Mutter nicht nur die Mädchen und den Haushalt bezahlen, sondern auch unsere Pensionen und Erziehungsgelder, so daß die Wirtschaft sehr entlastet wurde.  Es war eben eine zeit, wo das Geld ganz furchtbar knapp war und 1 Mark schon was bedeutete.

Nach der Jahrhundertwende wurde die Zeit langsam etwas leichter und die bessere Bodenkultur, die Ernt mit eisernem Fleiß durchführte, trug langsam aber sicher Früchte.  Wenn ich auf diesen Blättern die Geschichte Thurows niederschreiben will , dann erfülle ich meine Pflicht, meiner Mutter, sowie Ernstens und Lenys mit ganz besonderem Dank und Anerkennung zu gedenken, denn nur ihnen dreien ist es zu verdanken, daß heute noch Berckemeyers in Thurow sitzen.  Und wenn meine Mutter an Körper und Nerven früh verbraucht war, und wenn Ernst und Leny auch ihre Nerven hatten, so ist es kein Wunder, sie haben sie zur Erhaltung der Heimat verbraucht.  Aber es hat sich gelohnt, ab 1906-07, wo Ernst und ich heirateten, wurde es besser und der Bestand Thurows war wieder gesichert.

Wohl hatte diese sorgenvolle Zeit unsere Jugend bedrückt und uns früh zu ernsten Gedanken und finanziellen Fragen geführt, denn Vater ließ seine ganze Familie teilhaben an den Sorgen, mit denen er allein nicht fertigwerden konnte.  Aber ich bin dem Geschick dafür dankbar, daß es mich so früh den Ernst des Lebens kennenlernen ließ, denn wenn ich gegen den ausdrücklichen Willen meiner Eltern gerade zur Zeit des tiefsten Niederganges der Landwirtschaft 1897 aus Unterprima abging, um meinem großen Wunsch trotzdem Landwirt zu werden, zu folgen, so mußte ich mir sagen, daß meine Zukunft ganz auf meiner Hände Arbeit und ein gütiges Geschick gestellt sein mußte.  Ich setzte natürlich meinen Ehrgeiz darin, möglichst früh auf eigenen Füssen zu stehen und so konnte ich mit 19 Jahren meine erste Wirtschafterstelle mit einem Jahresgehalt von 400 RM antreten und brauchte von der Zeit an niemals die Eltern mehr in Anspruch nehmen, denn das früher sehr kostspielige Einjährigenjahr wurde durch eine Versicherung, in die Vater mich früh eingekauft hatte, bestritten.  Ja, ich habe sogar auf jegliches Erbteil damals aus Thurow und später, als mein Schwiegervater Bock gestorben, und da die Verhältnisses in Brütz auch sehr schwierig waren, mit meines Frau auf jede Erbschaft aus Gr. Brütz verzichtet, um die beiden alten Familiengüter zu halten, was dann auch gelungen ist.

Wenn ich auch früher, sowie heute derselben Ansicht bin, das Geld ganz bestimmt nicht glücklich macht, so habe ich doch kennengelernt, daß man als Familienvater einer größeren Familie ein sicheres Fundament haben muß, um den Kindern eine gute Erziehung mitgeben zu können und um für alle unvorgesehenen Wechselfälle des Lebens gewappnet zu sein.  Wer es erfahren hat, wie mühsam das erste Geld verdient wird, und wie langsam eins nach den anderen aufgebaut werden muß, der hat wie ich immer einen großen Respekt vor solch einer Leistung im Leben.  Deshalb habe ich mir den vielleicht etwas nüchternen aber sehr lebenswahren Spruch in der Mestliner Halle angeschrieben, den ich bei dem alten Herrn von Treuenfels in Lenschow gefunden hatte “Spare, Lerne, Leiste was, dann kannst du, bist du, hast du was”.

Ich persönlich habe immer bemüht, meinen Lebensstandart nicht zu erhöhen, so daß es mir gar nicht schwerfallen kann, wenn nach diesem Kriege für die Landwirtschaft wieder ernste und schwere Zeiten kommen werden, wie ich sie voraussehe, dann zu meinem Anfangspunkt wieder zurückzukehren.  Ich habe ja schon in dieser Schrift gezeigt, wie wechselvoll das Schicksal einer Familie in 145 Jahren gewesen sein kann, und da ist es natürlich viel leichter für einen, dem zu begegnen, der es in seiner frühesten Jugend erfahren hat, wie schwer eine Mark verdient wird, als für einen, der nur die heutigen Verhältnisse kennt.  Wer aber fest an der alten Scholle hängt, mag kommen, was da wolle, der wird alle Fährnisse überstehen, selbst wenn er für einige Jahre krumm liegen muß.

Nach altem Muster zog Ernst mit seiner jungen Frau geb. Hirsekorn in Thurow ein und die Eltern gingen wieder mit Leny aufs Altenteil, das wirklich sehr behaglich war.

Ich heiratete am 5. Juli 1907 in Gr. Brütz Helene Bock und wir pachteten uns mit Hilfe meines Schwiegervaters, dem ich dafür stets dankbar sein werde, das liebliche, traute Weisin, was die Heimat unserer sechs Kinder wurde und wo wir unendlich glückliche schöne und erfolgreiche 32 Jahre verlebten.  Es waren die besten und schönsten Jahre 1907-14 des gemeinsamen Schaffens und Aufbauens in Thurow und Weisin.  Die Ernten wurden jedes Jahr reicher und größer, die Ställe füllten sich und vieles wurde verbessert und manche Pläne harrten noch der Vollendung.  Ernst erbaute in Thurow einen tadellosen neuen Kuhstall im Jahre 1911, ein großes Ereignis, denn die von meinem Großvater 1842 erbaute Scheune hieß bis dahin immer noch die neue Scheune, seitdem war nichts gebaut.

Auf beiden Gütern wurden 4 Kinder geboren, je drei Mädchen und 1 Junge.  Man lebte auch in enger Fühlung mit den Arbeitern, die an dem Vorwärtsstreben Weisins Freude hatten.  Die beste Ernte stand 1914 auf meinem Feldern, und als ich dann ging, sie zu schneiden, da kam Krieg!

Am 2. Aug. morgens um 9 Uhr rückte ich aus, von Frau und Kindern an den Zug nach Passow begleitet, nach Karlsruhe zu meinem alten Regiment und von da zum Generalkommando XIV A.K.  Alles ging so schnell, das Abschiednehmen und Ordnen.  Man war wie im Bann, am letzten Abend noch ein Abschied von meinen treuen Leuten, in langen Reihen standen sie in der Weisiner Halle, man sah sich noch einmal in die Augen und drückte die harten Arbeitshände, ein Teil der jungen Kerle mußte ja schon mit mir fort.  Es war mir noch schnell gelungen, einen sehr brauchbaren Kriegsvertreter in der Person von Herrn Möller zu finden, der zwei Tage nach meinem Abschied antrat und dann 5 Jahre in Weisin treu gewirkt hat.  Diesem und besonders Helenes Umsicht und Fleiß habe ich es zu verdanken, daß meine Wirtschaft auf der Höhe blieb und weiter Früchte trug.  Von der guten Ernte 1914 konnten die letzten Schulden den Weisins abgetragen werden, so daß ich darüber beruhigt hinausziehen konnte, Frau und Kinder in geordneten Verhältnissen und auf einen gut aufgezogenen Betrieb zu hinterlassen, falls es mir bestimmt sein sollte, nicht heimzukehren.  Nie im Leben werde ich die eindrucksvolle Fahrt vergessen von Mecklenburg durch Deutschlands Gaue hinunter nach Karlsruhe, überall ein Abschiednehmen, Blumen am Helm, bekränzte Geschütze, ernste und aufgeregte Gesichter, Fahnen und Blumen in Sonnenschein, das Volk stand auf!

In Karlsruhe kam ich noch zurecht und gerade eine Woche später war die erste Feuertaufe in der Schlacht bei Mühlhausen am 9. Aug. und dann blieb ich 4¼ Jahr immer im Westen.  Aber dieser erste Weltkrieg ist mir viel leichter geworden, da man selbst dabei war und ich habe mich nicht gesorgt, als wie dieser grausige Krieg heute, wo man die Sorge um die zwei lieben Jungen nie los wurde, bis es nun still geworden ist.  Sie gaben beide ihr blutjunges Leben fürs Vaterland, der eine als Jagdflieger, der andere als Panzerleutnant, was sie sich freiwillig gewählt.  Nun haben wir keinen mehr dabei.

Aber ich kehre nach Thurow zurück, das Ernst, der acht Jahre älter wie ich, als Landsturm-Rittmeister zum Küstenschutz auf den Nordseeinseln verlassen hatte.  Er hatte kein Glück mit seinen Kriegsvertretern, mußte sich viel ärgern und oft wechseln.  Und schließlich 1917 kam die Trennung von seiner Frau durch Kriegsverhältnisse, ein schwerer Schlag, der gerade ihn bei seiner Veranlagung doppelt schwer traf.

Die Eltern waren 1916, weil ihnen das Leben in Thurow zu einsam, nach Ratzeburg in ein niedliches Haus, Hindenburgstr. 5  gezogen.  Vater hatte den Pachtvertrag aufgehoben und Ernst als Besitzer von Thurow eingesetzt, um ihn damit zu erfreuen und zu belohnen.  Das traurige Ende des Krieges 1918 brachte überall Not und schwere Zeit, besonders für meinen armen, einsamen Bruder in Thurow.  Mit großer Liebe widmete er sich seinen vier Kindern, denen er eine zweite Mutter zu geben versuchte.

Ein Lichtblick war in dieser Zeit der 24. Mai 1920, die goldene Hochzeit meiner Eltern auf Thurow, die in Frische und Rüstigkeit diesen seltenen Tage genossen.  Die ganzen Thurower Leute hatten hierzu Aufnahmen von sich, von ihren Wohnungen und in ihren Gärten machen lassen, in einem Album gesammelt den Eltern geschenkt und sie damit sehr erfreut.  Wir waren mit eigenem Pferdewagen, Helene und ich mit vier Kindern durch die Lande von Weisin nach Thurow gefahren, eine bleibende Erinnerung.  Dies war ein schöner Abschluß für das lange, arbeitsreiche Leben und Wirken meiner Eltern auf Thurow.  Am 10. Okt. 1920 feierte Vater noch seinen achtzigsten Geburtstag bei uns in Weisin, wo er so fröhlich war, mit seiner jüngsten Enkelin noch ein Tänzchen zu wagen.  Und vier Wochen später bereitete ihm ein Herzschlag mitten aus dem vollen Leben heraus einen wunderschönen Tod in Ratzeburg, am 12. Nov. 1920.  Durch seine prachtvolle Gesundheit ohne jede Gebrechen bis ins hohe Alter, und dadurch, daß er sich früh zurückgezogen hatte von den Sorgen des Alltags, hatte Vater mit seinen vielseitigen Interessen sehr viel gehabt von seinem Leben.

Ich muß noch nachholen, daß meine Schwester Leny am 29.10.1912 in Thurow den sehr prächtigen Sanitätsrat Dr. Paul Haenel heiratete, mit dem sie in Bordigehra und Bad Nauheim in sehr glücklicher Ehe lebte, Kinder waren ihnen nicht beschieden.

Meine jüngste Schwester Erna hatte sich sehr früh auf eigene Füße gestellt und durch ihre großen geistigen Fähigkeiten und Begabung in der Erziehung der Jugend eine reiche Befriedigung gefunden.  Sie heiratete 1920 in zweiter Ehe Herrn Ingenieur Heinz Frentzel, sie wohnen noch heute in Berlin, Kinder waren auch ihnen leider nicht beschieden.

Nach meiner glücklichen Heimkehr aus dem Kriege am 23.12.18 schenkte uns Gott noch zwei liebe, prächtige Jungen, Hans-Hubertus geb. am 8.11.1919 und Dietrich,  geb. am 4.9.1921.  Nun hatten wir sechs, auch drei Söhne und drei Töchter, wie wir in Thurow früher aufgewachsen waren.  Einzig schöne Jahre waren es nun für uns in Weisin, ganz der Freude und dem Heranwachsen dieser fröhlichen Kinderschargewidmet.  Und ich kann es meiner Frau zeitlebens nicht genug danken, wie sie es mit niemals ruhender Fürsorge und Liebe verstanden hat, sich ganz auf jeden einzelnen einzustellen und ihr körperliches und geistiges Wachsen zu fördern und in ihre junge Seele das hineinzulegen, was sie zu starken, wertvollen Menschen gemacht hat, wie sie das Leben braucht.

Und so wuchsen sie heran, und ehe es man gewahr wurde, waren aus den fröhlichen Landkindern erwachsene Menschen geworden und eins nach dem anderen flog hinaus aus dem trauten Nest Weisin und es wurde einsamer um uns.  Aus den munteren Jungen und Schülern wurden Männer, die sich für das rauhe Handwerk des Krieges vorbereiten mußten und aus den Mädchen wurden Frauen und wieder Mütter, die wieder das in ihre Kinder hineinpflanzen, was sie aus ihrem Elternhaus mitgenommen haben, so berichtet es die Sage vom Goldenen Ball.

Wir Eltern wollen Zeitlebens Gott dem Herrn danken für soviel Freude und Glück, die er uns mit unseren sechs geschenkt hat, und wollen nicht hadern mit ihm, daß er uns vier davon schon wieder genommen.  Er allein weiß, weshalb er ihr junges Leben, das uns nur Freude bereitet hatte, so früh vollendete.  Sie sind uns nur voraufgegangen und wir werden sie wiedersehen!

Viele fröhliche Enkel hat Er uns geschenkt, an denen wir noch manche Aufgaben und Pflichten der Liebe zu erfüllen haben, so ist unser Leben noch reich, wenn wir sie noch heranwachsen sehen dürfen.

Und nun will ich wieder nach Thurow und seinem weiteren Schicksal zurückkehren.  Mit dem Tode meines Vaters 1920 war der Anfang gemacht und wir sollten in rascher Reihenfolge an den Särgen der nächsten Verwandten stehen.

1922 starb meine ganz besonders von mir sehr verehrte Schwiegermutter Frau Bock.

Am 19. Sept. 1923 starb mein Bruder Ernst, der Besitzer von Thurow in wenigen Tagen an einer Angina.  Es lag eine große Tragik über dem Leben dieses unendlich fleißigen und sparsamen Mannes und tüchtigen Landwirts, daß er sich der heimatlichen Scholle, der seine ganze Lebensarbeit gegolten hatte und die er erst sechs Jahre sein eigen nannte, nun nicht noch in langen Friedensjahren als schuldenfreien Besitz, der es durch die Inflation vollends geworden war, freuen durfte.  Ich wurde Vormund für die drei Töchter und den einzigen Sohn meines Bruders, Jobst, für den Thurow zu erhalten, nun meine größte Sorge war.

In Jahre 1924 starb mein Schwager Paul Haenel und am 2. Juli 1925 meine liebe Mutter.  Wenn es wahr ist, daß ein Leben köstlich gewesen ist, wenn es Mühe und Arbeit war, dann muß das ihre köstlich gewesen sein, denn sie hat sich aufgezehrt in Arbeit und Liebe für ihre Kinder und für Thurow.  Und das, woran sie in ihrem Leben am schwersten getragen hat, was ein Muterherz allein weiß, war daß sie einen Sohn der krank war hatte, und dem sie nicht helfen konnte.

Und nun kam 1928 für uns wieder der erste schwere Schlag, wo der Tod in unsere Kinderschar griff, und unseren Altesten, unseren lieben Bernhard, als Primaner in Ratzeburg im Alter von 16 Jahren uns nahm, nach kurzer Krankheit.

Im Jahre 1929 wiederum endete das reiche abgeklärte, wunderschöne Leben unserer Tante Agnes mit 83 Jahren durch einen sanften Tod in ihrem kleinen Häuschen in Ratzeburg, ihrem Schmuckkästchen

Sie war uns allen ein großer Halt in allen Lebenslagen und von dem Gleichmaß ihres ganzen Wesens und ihrem gütigen Blick ging eine so wohltuende Ruhe auf einen über, wenn man bei ihr gesessen und sich erleichtert hatte, daß man wirklich gestärkt und auf den richtigen Weg gewissen von ihr ging.  Oft heute, nach unserem schweren letzten Schicksalsschlag denke ich, könntest du doch zu Tante Agnes gehen und dich still zu ihr setzen.  Sie würde meine Hände streicheln und würde ihre kühle Hand auf meine Stirn legen und ihre Nähe würde mich trösten, ohne viele Worte.  Sie war eine echte Berckemeyer von einem seltenen Charakter.  Es war eine sonderbare Fügung, daß sie mich als Patentante schon früh viel zu sich gezogen hatte und wie ich Weisin nahm, half sie mir mit ihrem bescheidenen Vermögen und hatte dann solche Freude an dem Fortgang in Weisin.  Als nun die Inflation 1922 ihr letztes Vermögen genommen hatte, übernahm ich sie ganz bis ans Ende und dafür wieder vermachte sie mir ihr kleines Häuschen.  Das war auch alles so hübsch und nach ihrem Sinne.

Im Jahre 1932 starb meine Schwester Esther.  In ihrer bescheidenen Art war sie nie irgendwie im Leben hervorgetreten, sondern hatte nur im stillen und im Kleinen viel Liebe ausgestreut und so hing sie sehr an ihrer Krankenpflege und viele kleine Leute in Ratzeburg an ihr.

Ich muß noch einmal, und zum letzen Male in Weisin einkehren und berichten, daß unsere Alteste Gabriele am 5. Juli, unserem Hochzeitstag 1929 Hans Berckemeyer, Sohn eines entfernten Vetters von mir aus Westfalen heiratete, auf das schöne große Gut Leezen am Schweriner See.  Auch dort sind schon wieder sieben kleine und große Berckemeyer, die das große Haus bevölkern.

Unsere zweite, unsere liebe Ellen, heiratete am 4. April 1930 Jürgen von Storch auf Parchow b. Kröpelin, auch dort tummeln sich drei jungen und zwei Mädchen.

Und nun unsere Gisela, genannt unser Lüttes, besann sich am Längsten und blieb den Eltern länger treu, sie heiratete am 14. Okt. 1939 den Forstassessor Albrecht Behm, der nach dem Afrikakrieg in Gefangenschaft geriet und jetzt im Amerika sitzt.  Bis dahin hat sie treu ihren Eltern geholfen in Thurow und in Weisin überall, wo es was zu tun gab, und hat uns mit ihrer Liebe umgeben, gerade dann, wenn das Schicksal uns Wunden geschlagen.  Sie ist auch nun noch bei uns in Thurow geblieben und ihre munteren Jungs Hans und Albrecht erfreuen unsere Tage.

In unserem lieben Weisin feierten wir dann 1932 unsere Silberne Hochzeit mit allen Geschwistern und Kindern und vielen lieben Menschen.  Die Kinder hatten uns auf Reisen geschickt, und zwar auf dieselbe Fahrt, die wir auf der grünen Hochzeitsreise gemacht hatten, nach Schweden und Dänemark, dem kleinen Badeort Mölle.  Wir gingen all die gleichen Wege wieder wie einst im Mai, und als wir am 4. Juli abends im Auto in Weisin landeten, empfing uns die große Schar der Gäste an der Tür, das Fest war bis ins Kleinste vorbereitet und der Tisch war gedeckt.  So krönten die Hochzeiten der Töchter und unser Silberfest unsere schöne Weisiner Zeit und die Jahre eilten schnell dahin, nur noch wenige waren es, die uns trennten vom 1. Juli 1939, wo meine Uhr dort abgelaufen war, und der Besitzer selbst Weisin übernehmen wollte.  Mit Schrecken dachte man an den Termin und die letzen Jahre der Vorbereitung darauf waren nicht schön.

So kam der Tag des Abschieds am 29. Juni 1939 von der trauten Stätte, wo wir einst fröhlich als junges Paar eingezogen waren, wo das Leben einem in den schönsten Farben lächelte und wo es so unendlich lang vor einem lag und nun, wo man dreiviertel und mehr durchmessen, flog alles nur so schnell dahin.  Dort stand die Wiege unsere sechs Kinder und treue Leute hatten uns umgeben, ja, Gott hatte unseren Weg und unsere Arbeit sichtbar gesegnet!

Einiges muß ich noch über meiner große schöne landwirtschaftliche Tätigkeit erzählen.  1921 hatte ich in Weisin in den alten extra dazu von Hoffschläger erbauten Ställen einer Stammschäferei wieder aufgemacht, der Merinofleischschafe mit meinem Meister Arfert zusammen, die schnell auf allen Ausstellungen Anerkennung fand und sich einen Ruf in Mecklenburg erwarb.  Ferner hatte ich mir nach dem Kriege die Domäne Mestlin u. Vimfow, 4000 Morgen groß gepachtet.  Der Betrieb war unter dem 87 Jahre alten Vorgänger total herunter, ihn aufzuziehen und modern hinzustellen, gab mir ein wundervolles Feld der Tätigkeit und Lebenswerk.  Unsere Kinder nahmen alle großen Anteil daran und verfolgten den Fortgang meiner Meliorationen und in der Zukunft sollte meine Arbeit ihnen gelten.  Ich habe sehr sehr viel Freude an dem herrlichen Ackerwerk gehabt, und jetzt seit 1939 ist die Stammschäferei von Weisin dorthin übergesiedelt.

In Lübz gab mir auch viele Jahre die Leitung der Zuckerfabrik und Molkerei, Krankenhaus, reiche Befriedigung.  So ist es verständlich, daß ich heute noch, wo ich die Heimat Thurow habe, mein Herz viel in der alten Gegend und bei meiner großen Arbeit dort hängt.  Heute mehr denn je suche ich die Arbeit auf und finde in ihr Ablenkung und Befriedigung.

In Thurow war nach dem Tode meines Bruders vieles durcheinander gegangen und viele Beamte hatten gewechselt.  Die beiden ältesten Töchter meines Bruders haben zwei Farmer Poehl und Abel geheiratet und sind seitdem ganz drüben.  Die dritte Cäcilie hat einen Lehrer Schoener in Bremen geheiratet.  Z. Zt. ist sie von dort geflüchtet und wohnt bei mir im Wohnhaus Vimfow mit 5 Kindern, der Mann ist im Felde.  Jobst war ein ordentlicher Mensch geworden, hatte seine Lehrzeit gemacht und diente bei der Artillerie in Güstrow.  Dort ist er am 22 Mai 1936 ums Leben gekommen und mit ihn war die männliche Linie meines Bruders Ernst erloschen.  Meine Schwägerin konnte und wollte die Wirtschaft nicht mehr und gab sie den drei Töchtern zurück, von denen wiederum keine in der Lage war, Thurow anzufassen und zu bewirtschaften.

So sollte es verkauft werden, und da half mir der Wunsch und Bestimmung meines vorausschauenden Vaters, die er sogar im Grundbuch hatte eintragen lassen, daß, wenn mein Bruder oder seine Erben jemals verkaufen würden, ich immer das Vorkaufsrecht ausüben sollte.  So kam es zu langwierigen Verhandlungen mit meiner Schwägerin und mit den Farmern drüben, wobei mir Herr Hüniken-Cölpin und Justizrat Knebusch sehr geholfen haben, trotzdem letzterer immer wieder meinte, der Fall wäre zu schwierig und das schöne Gut würde verloren gehen.  Endlich hatte man die vielen beglaubigten Unterschriften der Damen und ihrer Ehemänner alle beisammen, meine Schwägerin bekam eine Abfindung, jährliche Leibrente von 6000 RM und so konnte am 10. Nov. 1936 in Güstrow bei Justizrat Knebusch der Kaufvertrag von mir über Groß-Thurow meine Heimat mit 800 000 RM abgeschlossen werden.  Ein denkwürdiger und ergreifender Tag für mich.  Als ich des Abends spät wieder in Weisin landete, hatte Helene mir sehr sinnvoll ein großes Bild vom alten Thurower Haus mit Blumen aufgebaut und ein selbst verfaßtes hübsches Gedicht darunter gelegt, das ich am Schluß folgen lasse.

Nun war der Würfel gefallen und nach einer wechselvollen Krisis war Thurow an mich als den jüngsten Sohn des Hauses übergegangen.  Es hatte in den letzten Jahren stark gelitten.  Es neu aufzubauen und es noch einmal einer neuen Blüte entgegen zu führen, war meine schönste Aufgabe.  Meine Familie blieb die letzten drei Jahre noch in Weisin und ich war viel in Thurow, wo mit einem verheirateten Inspektor die neue Arbeit einsetzte.  1937 baute ich ein neues Vierfamilienhaus rechts am Tor, wo ein altes im meiner Jungend abgebrannt war, und 1939 ein gleiches ihm gegenüber, wo das alte abgerissen wurde.  Sämtliche anderen Wohnungen wurden gründlich durchgebaut, mit neuen Fenstern und Türen versehen und wohnlich hergerichtet, so daß Thurow heute mit 30 guten Familieeinwohnungen gut dran ist.  Ebenfalls wurde 1939 noch ein neuer Schweinestall gebaut, der noch soeben mit Kriegsanfang vollendet werden konnte.  Dann wurde das alte Thurower Wohnhaus noch gründlich überholt und modernisiert, Zentralheizung und neue Wasserwerke.  Gekachelte Badestube und gekachelte Anrichte!  Und Maler und Anstreicher überall, von Außen und Innen.  So war das Nest behaglich und wohnlich fertig, als der neue Weltkrieg einsetzte.

Der 29. Juni 1939, zufällig die sechzigste Wiederkehr des Todestages meines Großvaters, war für uns ein bewegter Tag.  Der letzte Morgen in Weisin, wo unsere drei Töchter uns getreu beim Umzug und Packen geholfen und uns beim Abschied geleiteten.  Noch einmal standen die treuen Leute, von denen ein großer Teil die zweiunddreißig Jahre mit uns gearbeitet, in langen Reihen und es wurde mir schwer, ihnen wenige Worte des Dankes zu sagen und des Abschieds, in manch feuchtes Auge hat man geschaut und Hände geschüttelt und Wünsche ausgetauscht.  Und dann fuhr man zum letzten Mal zum weißen Tor hinaus und an der kleinen Kapelle mit dem Ruheplatz unseres Bernhard entlang.  Wie kann man einen Fleck Erde so lieb haben!

Im Auto fuhren wir gleich durch und zwei Stunden später durch das Tor ein in die Heimat meiner Väter, Thurow.  Wieder standen die Leute in langen Reihen und brachten uns einen warmherzigen Empfang.  Blumen wurden überreicht und Fahnen und Girlanden wehten, Gedichte wurden aufgesagt und Hände geschüttelt und manch altes Gesicht grüßte mich noch aus Kindheitstagen.  Gerade an dem Tage tat dieser warme Empfang unseren herzen wohl, und man war gleich heimisch in der alten Heimat.

Und dann kam der Krieg!

Und noch ist Krieg, während ich im Januar 1944 diese Blätter schreibe, und wann wird das siegreiche Ende sein?  Der Sieg, den wir haben müssen für all das kostbare Blut, das geflossen, für Deutschlands schönste Blüte, die geopfert.  Auch wir haben unser Bestes gegeben, unsere beiden lieben, prachtvollen Söhne.  Hans-Hubertus fiel als Jagdflieger am 10. Okt. 1941 und Dietrich, der jüngste als Panzerleutnant am 10. Juli 1943 in Afrika.  Wir wollen uns aufrecht halten und uns ihrer würdig zeigen, die freudig ihr Leben fürs Vaterland gegeben, wenn auch das Mutterherz blutet, und der Vater alle seinen schönsten Hoffnungen begraben muß.  Als leuchtendes Beispiel stehen diese beiden treuen, edlen, sauberen Jungen vor uns bis ans Ende unserer Tage!

Die fünfte männliche Generation aus dem Thurower Hause ist erloschen, nun muß die sechste heranwachsen um des alte Erbe hoch zu halten. Möchten wir Großeltern es noch erleben, daß sie brave aufrichtige Kerle werden, wie unsere Jungen es waren, und daß wir die Liebe zur alten Scholle ihnen ins Herz pflanzen, die ihnen erst Heimat werden soll.  Und wenn sie diese Blätter einst lesen und verstehen, dann soll ihnen klar werden, welch ein Kleinod diese Heimat und diese alte braune Scholle ist, um die fünf Generationen vor ihnen gearbeitet, gesorgt und gekämpft haben, um sie immer wieder durch Krisen und Fährnisse hindurchzuführen zu neuem Licht und neuer Blüte.

Was Du ererbt von Deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen!

Ein Letztes hoffe ich noch für Thurow zu erreichen.  Nachdem die letzten Hypotheken abgelöst sind und das Grundbuch bereinigt ist, will ich es zum Erbhof erheben lassen.  Dann ist es unverschuldbar und unverkäuflich und kann nicht von der Erbschaftsstauer getroffen werden, und es ist die weibliche Linie erbberechtigt.  Dann möge es, so Gott will, stehen in fernste Zeiten!

Ich sitze wohl gern einmal im Saal, weil ich den Raum überhaupt so liebe wegen seines wunderhübschen Gleichmasses und wegen der alten Tradition, die von ihm Ausgeht, besonders gern, wenn die Sonne durch den Park leuchtet, den Raum durchflutet und die alten Gesichter vergoldet.  Dann schauen sie auf mich herab und ich halte Zwiesprache mit ihnen und ich möchte ihnen Rechenschaft geben, über mein Leben und Wirken hier, wenn ich mich einst zu ihnen reihen soll.  Ich fühle wohl den wohlwollenden Blick auf mir ruhen von der alten Cäcilie vom Großvater Landrat und von Tante Agnes, die mir Mut zugesprochen und mich trösten möchte  “Du hast dich redlich gemüht und gearbeitet um die alte Scholle, aber das Schicksal war starker als Du, und hat Deine Zukunftshoffnungen zerschlagen”.  Wohl haben sie die Freiheitskriege und andere Kriege hier erlebt, wohl haben Kosaken und Franzosen hier Thurows Felder zerstampft, aber es war alles nichts gegen das grausige Geschehen dieses entsetzlichen Völkerringens heute.  Keiner von ihnen hat solche Opfer gebracht, daß er seine drei Söhne gegeben hat.  Sie werden sich alle, die da hängen, in Ehrfurcht neigen vor der Größe der Opfer, die unsere Zeit von uns Eltern forderte, aber sie werden stolz sein auf das junge Geschlecht der Berckemeyer, die als tapfere Helden ihr blutjunges Leben gaben für Vaterland und die als gläubige Christen gestorben sind.


Diesen Vers lasse ich folgen über das Berckemeyer’sche Wappen

Vivat et spes!

(Auch die Hoffnung soll leben!)

In Schutz und Trutz, in Glück und Pein,
für Vaterland und Ehre,
mög immer der Arm gewappnet sein,
zum Angriff und zur Wehre!
Mög immer die gewappnete Hand in Treue die Sense schwingen,
mag immer das goldene kornrauschende Land
Segen ins Haus Euch bringen!
Und mög über Eures Herdes Licht
und Eurer gastlichen Halle
leuchten das Glück und die Zuversicht
Gott mit Euch und Gott für uns alle!


Groß-Thurow, Januar 1944

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(Bernhard  Ph. Berckemeyer)



Heut soll ich meine Heimat wiedersehen.
Von ihrer Scholle hielt Geschickes Hand
Und manch verworren tragisches Geschehen
Mich verbannt.
Und heut? Ruft wirklich sie nach mir, wünscht sich ein Auferstehn?
Sie, der mein Herz gehört ein Leben lang?
Vor heißem Werk und schöner Pflicht seh ich mich stehen,
Ihm, der sie gab, sei Dank!
Heut geh ich in Gedanken still zurück
Noch einmal ferner Jugend Wege
Frohes Erinnern, leuchtend Kinderglück,
Eh ich die Hand dann fest ans Steuer lege.
Das Fenster seh ich, wo den ersten Schlaf ich schlief
Und Hof und Garten, wo froh der Knaben Schar einst tollte,
Da, wo die Stimme meiner Mutter rief,
Und wo des Buben Herz wohl klopfte, wenn der Vater grollte.
Und dort, der blanke See, dem spiegelnd zeigt
Die junge Birke ihre jüngsten Ruten,
Du blumenbunte Wiese – ganz Grillen übergeigt –
Im Mittagsflimmer kurzer Sommergluten.
Und Erntezeit! Die Dreschmaschine summt
Und alle Tore stehen weit
Wo volle Fuder schwanken,
Du frohe, hohe Zeit!
Wenn alle Herzen danken.
Du da, bemoostes Dach, geduckt zur Erde tief.
Die alte Turmuhr hör die Zeit ich zögernd sagen
Wie oft sie wohl durch kalte Winternacht
Ihr frohes Neujahr rief
Seit jenen jungen Tagen?
Heut fährt Novembersturm rauh über Hoppeln hin,
Es tönt nur Kranichruf und Häherschrei,
Wildgänse über meine Heimat ziehn,
Doch sie ist frei! –
Dort an der alten Tanne schweren Wimper hängt
noch eine Träne von der letzten Nacht.
Auf manch Erinnern grauer Nebel senkt
den Schleier sacht. –
Kahl steht der Buchenhang im alten Lindengang,
Kein Kuckucksruf, kein Sommersänger singt,
Auf rauscht der Fuß im fahlen dürren Laube
Und dennoch hell durch meine Seele klingt
ganz junger Hoffnung Glaube.
Des Lebens Kampf hat mir den Mut gestrafft,
die alte Scholle will nun ihren Meister sehn.
Herr, gib mir Kraft
Und meiner Heimat gib ein Auferstehen!

Am 10. November 1936.   Tag des Kaufs und Übernahme von Groß-Thurow durch Bernhard Philipp Berckemeyer  –  Weisin.     – von Helene Berckemeyer geb. Bock



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