Agnes Berckemeyer – Familiengeschichtliche Notizen

 



 

Agnes Caroline Berckemeyer
Agnes Caroline Berckemeyer 1846 – 1929

Familiengeschichtliche Notizen

Berckemeyer – Hamburger Ast, Zweig Groß Thurow

Niedergeschrieben nach eigenen Erinnerungen, unterstützt durch Erzählungen der Verwandten

von Agnes Berckemeyer – 1907


Abschrift im Mai 2003 durch Bernd Sasse, Rheinfelden, Schweiz, von einer Schreibmaschinenabschrift gefunden in der Ahnentruhe von Tante E, Gabriele Berckemeyer, bei einem Besuch anläßlich ihres 95. Geburtstags.

 Wörter und Namen sind rot gedruckt, wenn in der mir vorliegenden Kopie schwer lesbare oder unverständliche handschriftliche Korrekturen angebracht worden waren.  Diese Wörter habe eine hohe Wahrscheinlichkeit, auch jetzt falsch geschrieben zu sein.

 Rheinfelden, im Februar 2003                          Bernd Sasse



Bernhard Philipp Berckemeyer BP I

Mein Großvater Bernhard Philipp Berckemeyer wurde den 20. Mai 1764 zu Hamburg auf dem Holländischen Brook geboren.  Er hatte eine Schwester Johanna Henriette und einen jüngeren Bruder Heinrich Berckemeyer. Von beiden Brüdern haben wir auf Thurow kleine Ölgemälde.

Mein Urgroßvater soll ein heftiger Mann gewesen sein. Von meiner Urgroßmutter weiß man nichts, als daß sie aus Bremen stammte und eine geborene Adriansen war. Beide Söhne wurden Kaufleute.

Den Älteren, meinen Großvater, trieb es schon mit 19 Jahren hinaus nach Kalkutta. Aus seinen Tagebüchern zu schließen hat er fast alle Länder Europas gesehen. Mit Vorliebe war er jedoch in England; alles Englische gefiel ihm am besten. So machte er seine Hochzeitsreise dorthin in Begleitung seiner noch damals unverheirateten Schwester, kaufte seine Aussteuermöbel und Silberzeug dort. Man sagt sogar, er habe seine Wäsche von Thurow aus in England waschen lassen. Als Kaufmann hatte sich mein Großvater ein großes Vermögen erworben, ließ sich in Hamburg nieder und verheiratete sich mit der einzigen Tochter von Johann Jacob Böhl und Cäcilie Ilsabe Böhl.

Der Schwiegervater hatte das größte deutsche Geschäft in Cadiz damals.  Meine Großmutter Cäcilie Böhl heiratete mit 16 Jahren, nachdem sie eben aus der Pension von Fräulein Rudolphie entlassen war. Ihr Vater starb im Jahre 1786. Dann heiratete ihre Mutter am 10. Dezember 1787, eine sehr glückliche 40-jährige Ehe. Ihr Mann, der Rechtsanwalt von Faber, kaufte sich den Adel, um nicht in den Hamburger Senat gewählt zu werden. Nach Hamburger Recht durfte man die Wahl zum Senator nicht ausschlagen, oder man mußte Hamburg verlassen. Als Adeliger aber hatte er diese Wahl nicht zu befürchten. Als Rechtsanwalt war er sehr angesehen und hatte ein sehr ansehnliches Vermögen, so daß er das Vermögen seiner Frau nicht brauchte.  Die Urgroßeltern hatten ihr eigenes Haus am alten Jungfernstieg. Jetzt steht der Hamburger Hof an seiner Stelle. Martin Jacob von Faber, Doktor beider Rechte, Ritter, Königlich-Preußischer Geheimrat und Canonicus minor beider Hamburger Domstifte, geboren 1752, starb am 9. 11. 1827 an der Kopfrose. Die gedruckten Todesanzeigen hat meine Cousine Mathilde von Sydow. Meine Urgroßmutter folgte ihrem Mann schon nach vier Monaten am 9. 3. 1828. Sie war geboren am 27. 6. 1751 in Hamburg. Sie hatte acht Kinder, von denen drei sie überlebten. Fritz von Böhl, Johannes von Böhl, und meine Großmutter Cäcilie Berckemeyer, geborene von Böhl. Bei ihrem Tode hatte sie 17 Enkel und eine Urenkelin, Mathilde Cäcilie von Sydow, geborene Jencquel. Meine Urgroßmutter litt an einem Magenübel und reiste häufig in die Bäder. Mit eigenem Wagen reiste sie nach Karlsbad und nach Paris. Von diesen Reisen sind noch zwei kleine Tagebücher vorhanden, geschrieben von Urgroßvater von Faber. Die Urgroßmutter hatte einen Hausfreund, Jean Lohmann, der später viel in Thurow war und auch seine Kinder. Seine unglückliche Schwester wurde ganz von meiner Urgroßmutter erhalten.

Meine Großmutter hatte drei Brüder: Johannes, Gottlieb, Fritz Böhl. Gottlieb war Kaufmann im Geschäft seines Vaters in Cadiz: er heiratete eine Hamburgerin geborene Meyer, Schwester von Senator Meyer und Frau Rehmöller. Gottlieb starb mit seiner Frau am gelben Fieber, welches schrecklich dort wütete. Von Cadiz stammen die spanischen Kostüme, die wir noch haben. Fritz, der Gutsbesitzer von Gottmannsförde, der sich den Adel kaufte, dann Johannes, der mehr Gelehrter als Kaufmann war und größtenteils in Madrid lebte. Er heiratete eine Spanierin, Frasquita de Larca, Tochter einer Isländerin (Korrektur: Irisch geborene Mutter): Hier verweis eich auf die Lebensskizze von Johannes Böhl. Er kaufte sich das Gut Görslow, und da er katholisch geworden, konnte er sowie seine Frau sich in Mecklenburg nicht heimisch fühlen, so verkaufte er das Gut wieder und blieb ganz in Madrid. Er hatte drei Töchter und eine Sohn.

Cäcilie, die älteste wurde Schriftstellerin und schrieb unter dem Namen Fernan Caballero. Sie war dreimal verheiratet und zuletzt Arrom in Sevilla, wo sie in einem maurischen Palast wohnte und wo mein Vetter Gustav Jencquel sie noch besucht hat. Als junges Mädchen war sie mehrere Male in Thurow. Mein Vater erinnerte sie ganz gut. Sie neckte ihn, den deutschen Jungen, und wenn er in den langweiligen Stunden von Jean Lohmann einschlief, so kitzelte sie ihn mit einer Kornähre. Auch noch später stand mein Vater mit seiner spanischen Cousine in Verbindung. Ich erinnere, daß spanische Früchte und Schokolade von dort kamen und daß dagegen orangengelbe Butter geschickt wurde. Die Spanier essen nur so gefärbte Butter.

Der Sohn Juan nahm den Adel und den Namen seines Steifvaters Faber an und nannte sich Böhl von Faber. Er heiratete eine Stiefcousine meines Vaters, Elisabeth Berckemeyer, genannt Betsy. Juan kaufte das mecklenburgische Gut Schmachtshagen. Er hatte acht Kinder und war kein tüchtiger Landmann. Er starb früh und hinterließ seine Frau und Kinder in schlechten Verhältnissen. Das Gut wurde verkauft, und die Mutter kaufte einen kleinen Hof, Nebenhof bei Lübeck, von wo aus die Kinder leicht die Schule besuchen konnten. Die Kinder Gustav, Adolph, Eduard, Rosa, Clementine und Ida habe ich gekannt und leben außer Rosa noch alle. Die beiden ältesten Söhne unverheiratet, der jüngste an eine Pflüg (Weinhandlung in Lübeck) verheiratet. Clementine in Wien an einen Ritter von Schönfeldt und Ida an einen Baron Ducka von Kadarr verheiratet. Beide sind Witwen. In Nebenhof war ein heiteres geselliges Leben; ungeniert mütterlich und gastfrei war Tante Betsy gegen alle, die in ihr Haus kamen. Es existiere damals noch die Stadtsperre, und das war immer ein Jagen und Rennen, um vor Torschluß wieder nach Lübeck zu kommen.

Von meinem Urgroßvater Berckemeyer weiß ich nicht viel zu berichten wie schon erwähnt. Er hatte drei Kinder, Bernhard Philipp und Heinrich und eine Tochter. Beide Söhne waren Kaufleute. Die Tochter heiratete einen Herrn Pauli aus Lübeck. Mein Großvater Bernhard Philipp ging mit 19 Jahren nach Kalkutta; seine Tagebücher geben weiteren Aufschluß über seine kaufmännische Karriere. In Hamburg wurden ihm die beiden ältesten Kinder geboren, Charlotte den 27. Juni 1797 und Eduard den 20. November 1798. Im Jahre 1797 am 22. Mai kaufte er Groß Thurow im Herzogtum Lauenburg. Bald darauf verlor mein Großvater einen Teil seines Vermögens durch unglückliche Spekulationen. Er zog sich auf sein Gut zurück. Dies war keine leichte Sache für ihn, den Kaufmann und verwöhnten Lebemann. Es gab damals weder Eisenbahn noch Chausseen. Die Wege unbeschreiblich schlecht. Eine Reise von Hamburg nach Thurow wurde in zwei Tagen gemacht. In Schwarzenbeck mußte man übernachten. Die Postverbindungen waren natürlich auch sehr mangelhaft. Von der Landwirtschaft verstand mein Großvater nichts und meine Großmutter ebensowenig von einem ländlichen Haushalt.

Cäcilie Böhl, 1778 – 1852, als junge und alte Frau

Das waren schwere Zeiten für beide. Dazu kam Kind auf Kind. Franziska war die Lieblingsschwester meines Vaters: Sie starb als Kind an Scharlach. Cäcilie wurde erst nach dem Tode meines Großvaters geboren. Mein Großvater hatte schon länger eine Wunde am Bein, und als dieselbe heilte, starb er unerwartet am 2. April 1816. Er liegt noch im Innern der Mustiner Kirche begraben unter unserem Kirchenstuhl. Nun blieb meine arme Großmutter mit sechs Kindern zurück, von denen nur die ältesten erwachsen waren: Charlotte 19 Jahre alt und Eduard 18 Jahre alt. Das Gut Thurow war stark verschuldet. Die Urgroßeltern wünschten, meine Großmutter solle mit ihren Kindern nach Hamburg ziehen, dann würden sie für die Erziehung der Kinder sorgen. Das Gut müsse verkauft werden. Der Bruder meiner Großmutter, Fritz von Böhl auf Gottmannsförde, wurde der Vormund und Berater meiner Schwester. Er riet ihr, Thurow zu behalten und sich auf das Äußerste zu beschränken. Dies tat sie, dadurch freilich zogen sich ihre Eltern zurück und gaben ihr keine besondere Hilfe mehr. Charlotte, die sehr von ihrem Vater verzogen war, konnte sich durchaus nicht mit ihrer Mutter vertragen. Die Inspektoren wurden durch Herrn von Böhl beaufsichtigt.

Einer dieser war ein Herr Stauber, der meine Tante Therese gern hatte und ihr ein Sonntagskleid schenkte, welches (so arm war meine Großmutter) auch dankend angenommen wurde, weil das alte einen großen Fettfleck hatte. Tante Therese eschämte dies sehr, weil sie den Herrn Stauber nicht leiden konnte. Später heiratete Tante Charlotte diesen Herrn Stauber, der ein Gut in Spräßwalde in Holstein hatte, wurde sehr unglücklich und ließ sich scheiden. Sie heiratete zum zweiten Mal gegen den Willen ihrer Mutter einen Schullehrer in Neustadt in Holstein, Petersen, im Jahre 1843.

eduard-wilhelm-berckemeyer

Mein Onkel Eduard war der rechtmäßige Erbe von Groß Thurow gewesen, da das Gut ein Lehen war. Leider war er stark verwachsen, und nach damaliger Ansicht konnte er kein Landmann werden. Zum Allod wurde Thurow erst gemacht, als wir preußisch wurden. Nun wurde Onkel Eduard Kaufmann mit schwerem Herzen und übertrug seinem jüngeren Bruder Ernst, meinem Vater, seine Rechte. Er selbst lernte anfangs in Hamburg und ging dann nach Spanien. Dort hatte er viel unter seinem mißgestalteten Körper zu leiden, weil die Spanier solche Menschen wie von Gott gezeichnet halten. Darauf ging er nach Valparaiso, wo er sich ein Vermögen erwarb. Dort besaß er eine Villa mit Garten und Feld, Pferd und Wagen. Der Grundriß seiner kleinen Besitzung ist noch in Thurow. Er kam nach einigen Jahren wieder in seine Heimat zu seiner Mutter und seinen Geschwistern. Er liebte und sorgte für meinen Vater in rührender Weise auch für seine Schwestern. Sein ausführlicher Briefwechsel zeugt von seiner Anhänglichkeit an Thurow und läßt eine schwermütige bittere Stimmung ahnen. Unbegreiflich war es, daß er für einen Freund gut sagte, dieser ihn betrog und er sein ganzes mühsam erworbenes Vermögen verlor. Nun fehlte ihm aller Mut, wieder von Vorn anzufangen: Er erschoß sich in Verzweiflung am 4. November Dies war ein harter Schlag für meine Großmutter. Sie ertrug alle schweren Zeiten mit großer Elastizität. Sie hat nicht in dem Grade darunter gelitten wie Tante Therese Jencquel.

Tante Therese bekam wenig Unterricht, und der wurde von Dr. Weber in Goldensee erteilt. Größtenteils mußte sie die Stelle der Haushälterin vertreten und faßt immer in der Küche sein. Die vielen Gäste, die meine Großmutter bei sich sah und die man auch nur einfach bewirten mußte, verleideten meiner Tante die Geselligkeit, weil ihr soviel Arbeit durch sie erwuchs. Schrecklich peinlich waren ihr die Fahrten nach Hamburg. Auf einem Gemüsewagen wurde sie am alten Jungfernstieg vor der Großeltern Haus mit den Erzeugnissen des Landes abgeladen. Sie blieb auch oft länger bei ihren Großeltern, wo es ihr besonders peinlich war, wenn sie die beiden kleinen Hunde der Großmutter spazieren führen mußte. Bei solchen Besuch lernte sie ihren Mann Gustav Jencquel kennen, ein reicher Kaufmann, der zwei Häuser besaß – ein Stadt und ein Landhaus. Ersteres ist beim Hamburger Brandt mit Einrichtung und Silber ganz abgebrannt. Es blieb nur das Landhaus in Hanna gelegen, was die Familie bewohnte. Im Winter wohnte dieselbe in einem Hotel.

Mein Vater erhielt seinen Unterricht auch in Goldensee bei Dr. Weber. Er mußte täglich früh dorthin gehen über den See per Boot oder auf dem Eis ohne Kopfbedeckung. In Goldensee studierten damals viele junge Leute, Dänen, Engländer, Schweden, Franzosen und Spanier. Sie standen in eifrigem Verkehr mit meinen recht hübschen drei Tanten in Thurow. Auch wurden in Goldensee viele Festlichkeiten gegeben von Dr. Weber und seiner Frau. Sie war eine verwitwete Walcke, heiratete ihren Hauslehrer, und da ihm die angeheirateten Kinder nicht genügten, nahm er noch fremde in Pension.

Der einzige Bruder meines Großvaters war Kaufmann in Hamburg. Er hatte in erster Ehe drei Töchter, Elisabeth, verheiratet mit Juan Böhl von Faber, Franziska, die Onkel Eduard geliebt hatte und früh gestorben ist, und Emmy oder Emilie Berckemeyer, verheiratet mit Heinrich Donnenberg, der in Madeira starb. In zweiter Ehe hatte Heinrich Berckemeyer eine geborene Nolte zur Frau, von der drei Söhne stammen, Harry, Gustav und Oskar. Gustav war Kaufmann in Hamburg, heiratete in erster Ehe eine geborne Carles sehr reich. Aus der Ehe stammte nur ein Sohn Arthur. In zweiter Ehe heiratet er Helene O’Swald. Aus dieser Ehe stammen acht Kinder. Oskar Berckemeyer blieb unverheiratet, lebet in seinen letzten Lebensjahren in Hamburg und starb dort im März 1906 an Altersschwäche. In seiner Jugend war er in Südamerika in Valparaiso und erwarb sich dort ein großes Vermögen. In Thurow war er immer ein gern gesehener Gast. Der älteste Sohn Harry ging auch nach Amerika, es gelang ihm aber nicht, sich Reichtum z erwerben. Er heiratete zwei Spanierinnen, hatte vier Kind erster und vier Kinder zweiter Ehe und ist auch dort in wenig guten Verhältnissen gestorben.

Thurow war immer der Mittelpunkt für die Familie; meine Großmutter liebte die Geselligkeit ungemein. Am 2. Juni, ihrem Geburtstage, waren immer große Familienvereinigungen in Thurow. Ich erinnere nur dunkel ein Jubiläum, der fünfzigjährige Besitz von Thurow in der Familie. Viele Gäste im Haus und Garen liefen mit Kaffeetassen umher. Wir kleinen Enkel mußten vor der Hütte einen Vers aufsagen und mit einer Girlande den Stuhl unserer Großmutter schmücken. Der Vers lautete:

Immer, immer bei dir bleiben
Wollen wir, uns soll vertreiben
Weder Kummer weder Schmerz.
Und um ganz bei dir zu wohnen
Laß an deiner Brust uns thronen,
nimm uns freundlich an dein Herz.

Die ältesten Enkelkinder standen bei dieser Feier auf einem Tisch in der Hütte als Glaube, Liebe Hoffnung. Cäcilie B., Franziska Jencquel, Cäcilie Krüger. Die alte Hütte stand der jetzigen gegenüber ganz im Gebüsch, so daß man keine Aussicht auf den See hatte. Mein Vater hat erst die Hütte auf den Fleck gestellt, auf dem sie jetzt steht, unter Mißbilligung der ganzen Familie, die Zugluft fürchtete wegen der freien Lage.

Mein Vater lernte zuerst Landwirtschaft bei Herrn Fischer in Wendelbedl. Dann kam er zu seinem Onkel Böhl nach Gottmannförde als Schreiber. Herr Fritz von Böhl war sehr streng gegen sein Mündel, meinen Vater. In Thurow war immer große Aufregung, wenn Onkel Böhl kam, um zu inspizieren. Später kam mein Vater dann auf eine Landwirtschaftliche Schule Mögelin, Prof. Thaer. Dort lernte mein Vater seinen späteren Schwager Hoffschläger kennen.

Ida Charlotte Eleonore Manecke, 1816 – 1888
Ernst Philipp Berckemeyer, 1808 – 1879

Mein Vater verheiratete sich mit meiner Mutter Eleonore Manekke aus Ratzeburg im Jahre 1837. Die Mutter, meine Großmutter, lebte in Ratzeburg und hatte das große Haus auf dem Domplatz in Besitz. Sie war zweimal verheiratet. In erster Ehe mit Herrn Manecke aus Schwerin, der in Schwerin an der Kanzlei angestellt war. Aus dieser Ehe stammten drei Töchter: Elise, verheiratet an Dr. Engholm, meine Mutter und dann eine unverheiratete Agnes. In zweiter Ehe heiratete meine Großmutter einen Kanzleirat Schröder in Schwerin. Sie zogen nach Ratzeburg. Aus dieser Ehe stammen drei Töchter und ein Sohn. Tante Pauline heiratete eine Hauptmann Meyer, von dem sie sich scheiden ließ. Tante Franziska, die in einer Irrenanstalt starb, heiratete eine Landmann Kuhlmann. Tante Marie heiratete einen Medizinalrat Buchholz in Schwerin. Onkel Fritz war ein liebenswürdiger netter Mensch, studierte Jura, konnte aber sein Examen nicht machen und erschoß sich.

Als mein Vater heiratete wurde das Wohnhaus, welches eine Frontispice hatte, ausgebaut und ein Stockwerk aufgesetzt. Die eine Hälfte des Hauses bezog meine Großmutter mit einer unverheirateten Tochter, Mathilde, mein Vater die andere Hälfte. Er hatte einen jungen Volontär, Paul Krüger aus Hamburg, der sich mit Tante Mathilde verheiratete und das Gut Groß Weltzin in Mecklenburg kaufte. Am 5. Dezember 1837 heiratete mein Vater, einige Wochen später Onkel Hoffschläger aus Weisin unsere Tante Cäcilie. Meine Großmutter nahm, nachdem alle Töchter verheiratet waren, eine Gesellschafterin, Caroline Moll, die bei mir Gevatter gestanden und bald darauf gestorben ist. Das Grabkreuz war noch immer auf dem Mustiner Friedhof. Die Nachfolgerin war dann Doris Schroeder, die meine Großmutter überlebt hat und später in Lübeck ihre Tage beschloß.

Meine arme Mutter war leider durch ihren Vater erblich belastet; die Ehe war keine glückliche. Fünf Töchter und ein Sohn entsprossen der Ehe. Für meinen Vater war es eine große Sorge, nur einen Erben zu haben, da Thurow ein Lehngut war. Dieses wurde, als wir preußisch wurden, geändert, seitdem ist das Gut Allodium.

Meine Großmutter hat uns alle noch gekannt. Ich erinnere sie in ihrer gemütlichen freundlichen Art, wie sie mir zeigte, Bilder aufzukleben. Auch, daß sie mit uns im Gartentempel spielte. Sie starb an einer Lungen-entzündung den 21. November 1852. Deutlich sehe ich sie auf ihrem Totenbett: ein schwarz-seidenes Tuch um den Kopf und ein großes Gesangbuch unters Kinn gelegt. Wohl hatte sie ein schweres Leben hinter sich, aber sie hatte einen heiteren Sinn und war immer für Verkehr und Geselligkeit.

Für meinen Vater begann eine harte Zeit, denn er mußte mehr und mehr einsehen, daß seine Frau nicht normal war. Verschieden Heilversuche wurden gemacht, sie kam nach Kiel in eine Anstalt. Anscheinend kehrte sie geheilt zurück. In dieser Zeit waren Stolterfoths in Roggendorf Pächter und sehr befreundet mit meine Eltern. Frau Stolterfoth war die erste, die sagte, meine Mutter sei krank, während die Familie alles für Eigensinn und Laune hielt. An einem schönen Sonntagmorgen erhielten meine Schwester Mathilde Berckemeyer und ich die Erlaubnis, nach Dutzow mit dem Eselwagen zu fahren. Wir fuhren glücklich ab, nicht ahnend, welch schwerer Abschied sich in unserer Abwesenheit vollzog. Als wir nach einigen Stunden zurückkehrten, empfing uns unser Vater an der Gutsgrenze am Ende der Wasserallee, hieß uns absteigen und führte uns schweigend in unseren kleinen Garten im Seegarten. Dort ließ er sich auf eine Bank nieder, nahm uns auf seine Knie und erzählte unter bitteren Tränen, daß unsere Mutter sehr krank sei und für lange Jahre verreist, um wieder gesund zu werden. Wir ahnten nicht, daß ein Abschied für immer war, denn sie kehrte nie mehr aus der Anstalt zu uns zurück. Sie starb in der Anstalt Zehlendorf am 14. April 1888. Sie überlebte meinen Vater um neun Jahre.

Dieses häusliche Unglück trieb meine Vater viel nach außen. Er wurde Reichsmitglied in Kopenhagen. Wir standen vor 1864 noch unter dänischer Oberhoheit. Wir hatten dänisches Militär und Post. Der dänische König Christian IX. kam mit seiner Gattin Danner nach Ratzeburg. Mein Vater hatte damals einen guten Kutscher und eine dunkelbraunen Viererzug, der fuhr den König und Jahnn Bollow, nachmaliger Diener, die Gräfin Danner. Zweimal war mein Vater in Kopenhagen Reichsrat. Dort hatten wir auch eine Verwandte, Frau Ministerin Pauli. Durch meines Vaters Tante Pauli sind wir mit dieser Dame verwandt gewesen. In der Zeit machte mein Vater mit seiner ältesten Tochter Cecilie einen Besuch in Schweden bei einem Jugendfreund Gutsbesitzer von Eckermann. Nach dieser Zeit erhielt mein Vater den Danebrog-Orden. Eine böse Erkältung auf der Rückreise von Kopenhagen legte den Grund zu seiner Lähmung, die ganz allmählich ihn ganz ergriff. Im Jahre 1867, als Lauenburg zu Preußen kam und der König Wilhelm I. mit Bismarck und Moltke in Ratzeburg waren und die Vereidigung stattfand, da konnte mein Vater noch als ältester Landschaftsrat (damals wurden sie Landräte genannt) das Wohl der Königin ausbringen und an allen Festlichkeiten teilnehmen. Er erhielt danach den Kronenorden III. Klasse.

Besonders tätig war mein Vater in der Landwirtschaft. Längst vor der Zeit der Wegeordnung hielt er auf gute Wege. Dadurch wurde Thurow berühmt wegen seiner gut erhaltenen Fahrwege.

Geselligkeit und großen Familiensinn hatte mein Vater. Das Pfingstfest und der 10. August, sein Geburtstag, warn immer Familienfeste. Größtenteils hatten wir Familienmitglieder zu Besuch, aber auch viele Freunde und Bekannte kehrten bei uns ein. Sein Grundsatz für den Hausbesuch: Vormittags mußte derselbe sich selbst unterhalten und wir ruhig unserer Arbeit nachgehen, während für den Nachmittag immer eine Unterhaltung und Vergnügen ausgedacht wurde. Und wenn es auch nur eine gemeinsame Leiterwagenfahrt war.

Mein Vater stand gewöhnlich um 5 Uhr auf, trank ein Glas Wasser und frühstückte erst um 8 Uhr. Vorher hielt er eine kurze Andacht. Wenn er zufrieden war, lobte er nie. Sein Grundsatz war: Wenn ich nicht tadele, so ist das Lob genug. Aufs Wort gehorsam sein, blindlings hieß es bei uns Kindern, bei Tisch nicht sprechen, nur die Erwachsenen reden lassen, was auf dem Teller liegt, auch sonst alles essen, was auf den Tisch kommt. Als wir aber erwachsen waren, überließ uns unser Vater unser eigenes Urteil, zu tun, was recht ist. Er pflegte zu sagen: Du bist alt genug, selbst zu urteilen; ich kann dir nur raten.

Nobel in seiner Gesinnung, gerecht gegen jedermann, fromm und ergeben war er in seinem langen Leiden. Geduldig ertrug er die Lähmung, die sich allmählich über seinen ganzen Körper ausbreitete. Als ob schon früher geahnt hätte, daß er einmal so leiden müßte, so hatte er mit seinem Vater Jencquel, der durch einen Schlaganfall gelähmt war, so unendliches Mitleid, daß er ihn, wenn er bei uns in Thurow zu Besuch war, stundenlang im Rollstuhl herumfahren konnte, ihm ein Kartenbrett machen ließ, damit er abends Whist spielen konnte.

Unter den ständigen Besuchern, die länger blieben, war Onkel Berckemeyer. So wurde er einzige Onkel meines Vaters (Heinrich) meines Vaters genannt. Ich erinnere, daß er mit Diener und Einspänner sowie mit vielen Angelschnüren eintraf, um monatelang bei uns zu bleiben. Er hatte einen guten und einen schlechten Tag, regelmäßig und abwechselnd, so daß ordentlich damit gerechnet wurde. An seinen schlechten Tagen gingen wir Kinder ihm gern aus dem Wege. Meine Schwester Cäcilie mußte ihm viel vorlesen. Im Essen und Trinken war er sehr eigen. So mußte er zum Beispiel beim Kaffeebrennen in der Küche sitzen, um den Prozeß zu kontrollieren. Seine Redensart war: Schiet von den Deubel. Er sorgte immer dafür, daß alle Aussichten im Garten frisch geschnitten wurden. Der Gärtner Steinfelt war dann den ganzen Tag mit ihm im Garten beschäftigt.

Eine eigentümliche Gestalt, die uns häufiger besuchte, war der alte Herr Christian Krüger aus Hamburg, der Schwiegervater von Tante Mathilde Krüger. Er kam immer nur auf einige Tage mit seiner Hausdame Therese Hartung in altmodischem Anzug mit Jabot und hohen Vatermördern. Drei kastanienbraune gelockte Perücken, die er immer wechselte, da sie von verschiedener Länge waren, um die Täuschung des Wachsens hervorzurufen. Jeden Abend genoß er eine Brünellensuppe. Uns Kinder empfing er mit dem Ausruf „Putje Kralog“, wobei er uns mit den Händen ins Gesicht faßte und uns küßte. Viele französische Redensarten wendete er mit Vorliebe an. Sein Haus am Alten Jungfernstieg war für uns gastfrei geöffnet. Er führte uns ins Theater, hatte immer einige Gäste zum Essen. Die überheizten Zimmer, sein Frühkaffee, wo der Zucker in der Tasse so reichlich war, daß er aus dem Kaffee heraussah, und das Rasieren von einem Barbier, wobei ich zusehen mußte: dies alles ist mir unvergeßlich geblieben.

Wir hatten sonst auch noch einen merkwürdigen Gast: Herrn August Schmidt, ein Junggeselle aus Trittau, der sich bei uns das Heimatrecht erwarb. Mein Vater suchte einen Schweinehirte, und da begehrte er das Heimatrecht als solcher, weil dies umsonst war. Deshalb zog er diese eigentümliche Art vor. Dieser Herr hat nach seinem Tode eine Stiftung gemacht, an der immer ein Thurower Kind teil hat. Mein Bruder ist Administrator dieser Stiftung.

Ida or Agnes and Cacilie Berckemeyer
Agnes Berckemeyer (1846 – 1929) und Cäcilie Berckemeyer (1839 – 1915)

Meine jüngste Schwester Berta, ein reizendes blondlockiges kluges Kind, starb mit neun Jahren an Scharlach. Sie war meine treue Spielgefährtin, und ich entbehrte sie schmerzlich. Wir Schwestern waren alle in einer Pension bei Fräulein Plessing in Lübeck. Mein Bruder kam früh aus dem elterlichen Hause, zuerst nach Roggendorf zu Pastor Rabe, später nach Lübeck zu Pastor Lüdkens und zuletzt zu Professor Dettmann. Cäcilie war bei Fräulein Plessing, bis meine arme Mutter nach Berlin kam. Sie übernahm den Haushalt und die Sorge für ihre Geschwister. Unsere erste Erzieherin war Fräulein Stöter, eine herzensgute, aber wenig energische Seele. Sie hatte rötliches Haar, einen schiefen Scheitel und trug immer ein Körbchen mit sich, in dem ihr Schlüsselbund und Taschentuch lagen. Letzteres wurde immer im Zornesausbruch oder bei Erstaunen geschwenkt. Sie war herzensgut. Später, als Berta und ich allein waren, hatten wir Fräulein Seitz zur Erzieherin, die wir sehr gern hatten. Fräulein Zwang war die letzte und bei uns sehr unbeliebt. Nach Bertas Tod erhielt ich meinen Unterricht bei Pastor Hannewickel in Mustin und von Ida. Ich sollte mich erst vom Scharlach erholen, ehe ich in Pension kam. In dem kinderreichen Pastorhause erlebte ich sehr vergnügte Stunden. Nach einem Jahr kam ich zu Plessings, wo ich drei Jahre blieb.

Im Jahre 1863 heiratete Cäcilie den Pastor Walter in Schwerin. In diesem Jahr wurde ich konfirmiert und kam nach Thurow zurück. Nun lebten Ida, Mathilde und ich zusammen. Um uns aber zu einigen, kam ein Fräulein Karthaus zu uns, die acht Jahre bei uns blieb, die uns sehr lieb wurde, und bei der ich jetzt in Bayreuth lebe.

Mein Vater bedurfte schon mehr und mehr einer Hilfe, sowohl zum Schreiben als auch zum Führen. Ein einziges Mal, auf meinem ersten Ball, hat mich mein Vater noch geführt. Er war in Ratzeburg beim Amtsmann von Cossel.

Ida heiratete dann 1868 den Bruder meines Schwagers in Schwerin.

Bertha Emilie Dreyer, 1848 – 1925
Bernhard Heinrich Peter Berckemeyer, 1840 – 1920

Bruder Bernhard heiratete 1870 Bertha Dreyer aus Altona, und mein Vater zog mit Mathilde und mir auf die andere Seite des Hauses, wo früher unsere Großmutter wohnte. Am 29. Juni 1879 starb mein armer Vater fast ganz gelähmt geduldig Gott ergeben. Fünf Jahre vorher starb meine Schwester an einem schleichenden Nervenfieber, wie der Arzt meinte.

Unser lieber Vater wird uns allen ein Vorbild bleiben als Muster der Geduld, als treuer Vater und als echter edler deutscher Mann!